Verloren unter 100 Freunden
Online-Figur und redet von ihrem Avatar in der dritten Person. Trotzdem ist The Sims Online ein Standort, von dem aus sie ihr Leben neu betrachten kann.
Diese neue Art der Identitätsarbeit kann überall stattfinden, wo man sich einen Avatar zulegen kann, auch auf den Seiten sozialer Netzwerke, wo das eigene Profil zu einer Art Avatar wird, einer Darstellung nicht nur dessen, was man ist, sondern auch dessen, was man sein möchte. Teenager machen einem klar, dass Internetspiele, Internetwelten und soziale Netzwerke (die oberflächlich betrachtet sehr unterschiedlich sind) eine Menge gemeinsam haben: Sie fordern einen alle auf, eine Identität zusammenzusetzen und zu projizieren. Audrey, sechzehn, in der elften Klasse der staatlichen Roosevelt-Highschool in einem Vorort von New York City, ist überzeugt vom Zusammenhang zwischen Avataren und Profilen. Sie nennt ihr Facebook-Profil »meinen Internetzwilling« und »der Avatar von mir«.
Mona, Neuling an der Roosevelt-Highschool, hat sich erst kürzlich bei Facebook angemeldet. Ihre Eltern haben sie bis zu ihrem vierzehnten Geburtstag warten lassen, und ich treffe sie kurz nach diesem langersehnten Tag. Mona erzählt mir, sie habe »sofort Macht verspürt«, sobald sie auf der Seite war. Ich frage sie, was sie damit meint. Sie sagt: »Das Erste, was ich dachte, war: Jetzt werde ich mein wahres Ich zum Ausdruck bringen.« Aber als Mona sich hinsetzte, um ihr Profil zu erstellen, liefen die Dinge gar nicht so glatt. Wann immer man Zeit hat zu schreiben, zu überarbeiten und zu löschen, gibt es Spielraum für die Selbstdarstellung. Das »wahre Ich« erweist sich als schwer fassbar. Mona schrieb ihr Profil immer wieder um. Sie legte es für zwei Tage beiseite und holte es dann wieder hervor. Welche Bilder sollte sie verwenden? Was sollte sie erwähnen und was nicht? Wie viel von ihrem persönlichen Leben preisgeben? Sollte sie andeuten, dass sie zu Hause Probleme hatte? Oder war diese Plattform eher ein Ort, um sich von seiner besten Seite zu präsentieren?
Mona befürchtet, ihr gesellschaftliches Leben sei nicht interessant genug, um für andere spannend zu klingen: »Was soll ich sagen , was für ein Privatleben ich führe?« Ähnliche Fragen treiben auch andere junge Frauen in ihrer Klasse um. Einige haben gerade ihren ersten festen Freund. Sollen sie sich als Singles ausgeben, wenn sie gerade erst begonnen haben, jemanden regelmäßig zu treffen? Was, wenn sie sich in einer Beziehung wähnen, aber der Junge nicht? Mona sagt mir: »Das Vernünftigste wäre«, die Dinge mit dem Jungen zu klären, bevor man angibt, mit ihm zusammen zu sein. Aber das könne »ein ziemlich peinliches Gespräch werden«. Also gibt es Missverständnisse und gegenseitige Schuldzuweisungen. Mit vierzehn kann Facebook eine tränenreiche Angelegenheit sein. Und für viele bleibt es das auch noch einige Jahre lang. Vieles, was einfach erscheinen mag, ist kompliziert. So sagt Helen, eine ältere
Roosevelt-Schülerin, zum Beispiel: »Ich kriege immer ein bisschen Panik«, wenn Facebook sie auffordert, jemanden als Freund anzugeben oder die Anfrage zu ignorieren. »Wen soll ich eintragen? … Eigentlich möchte ich nur meine coolsten Freunde auflisten, aber ich mag auch viele andere in der Schule ganz gern. Also führe ich auch die auf, aber dann bin ich unzufrieden.«
Im viktorianischen Zeitalter verschaffte man sich mit Hilfe von Visitenkarten einen Überblick darüber, wen man besuchte und mit wem man bekannt gemacht wurde. Besucher kamen, um ihre Aufwartung zu machen, wobei sie nicht unbedingt erwarteten, empfangen zu werden, und hinterließen ihre Karte. Wurde dann auch bei ihnen eine Karte abgegeben, hieß das, ihre Aufwartung stieß auf Interesse. So gesehen ist Facebook eine Reminiszenz dieser Tradition. Dort schickt man sich Freundschaftsangebote. Der Empfänger hat die Option, das Angebot zu ignorieren oder darauf einzugehen. Wie zur viktorianischen Zeit liegt dem auch hier die Absicht zugrunde, auszusortieren. Nur folgten die Viktorianer dabei gesellschaftlich anerkannten Regeln. So war es zum Beispiel klar, dass man Leuten von gleichem gesellschaftlichem Stand gegenüber am offensten war. Facebook ist demokratischer, was es den Mitgliedern überlässt, ihre persönlichen Regeln aufzustellen, die von jenen, mit denen man Kontakt aufnimmt, nicht zwangsläufig verstanden werden. Manche geben auf Facebook ein Freundschaftsangebot ab im Sinne von »Ich bin ein Fan« und werden auf
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