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Verloren unter 100 Freunden

Verloren unter 100 Freunden

Titel: Verloren unter 100 Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherry Turkle
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mir persönlich gesagt hätte, aber das hat er nicht getan. Bei einer Online-Entschuldigung bleiben zu viele Fragen offen: ›Wird er sich mir gegenüber jetzt komisch benehmen? Geht es einfach ganz normal weiter?‹ Man weiß nie, wie sich die beiden Welten überkreuzen.« Eine Online-Entschuldigung ist nur eine der »billigen Lösungen«, die das Internet anbietet. Es gibt dort viele Möglichkeiten, etwas falsch zu machen.
    Audrey sagt, ihren schlimmsten Fehltritt habe sie ein Jahr zuvor begangen, als sie online mit einem Jungen Schluss gemacht habe. Mädchen im Teenageralter orientieren sich häufig an der Fernsehserie Sex and the City , wenn es darum geht, welche Dinge man nicht per Internet tun sollte. In einer viel diskutierten Folge beendet der Freund der Heldin die Beziehung mit ihr, indem er ihr einen Zettel hinlegt. Auf diese Weise sollte man nicht Schluss machen, und auch nicht per SMS. Audrey sagt, sie kannte diese Regel; ihr Schlussmachen per Instant Messager war ein Fauxpas. Sie hat ihn sich noch immer nicht ganz verziehen:
    »Ich hatte Angst. Ich konnte es nicht per Telefon, und ich konnte es nicht persönlich. Es war so eine Sache, bei der mir klar war, dass ich aufhören muss, weil ich nicht dasselbe empfand, sowas eben. Ich fühlte mich so unwohl, weil ich ihn wirklich mochte und mich nicht überwinden konnte, ihm die Wahrheit zu sagen. Das war eine dieser … Ich wollte mich nicht drücken, ich konnte es bloß einfach nicht aussprechen, also musste ich es online machen, und ich wünschte, ich hätte das nicht getan. Er verdiente es, dass ich es ihm persönlich sage … es tut mir wirklich sehr leid. Ich finde einfach, es ist ziemlich rücksichtslos und irgendwie feige.«
    Audrey ist noch immer so durcheinander, dass sie in unserem Gespräch dazu übergeht, sich zu rechtfertigen. Sie erzählt mir von einer
Zeit, in der sie sich besser benommen hat: »Ich hatte Streit mit einem Freund und fing an, ihm eine Facebook-Message zu schreiben, aber dann bremste ich mich.« Sie erklärt, es sei sehr schlimm, online mit jemandem Schluss zu machen, aber »na ja, wenigstens hat man es dann hinter sich. Mit einem Freund muss man solche Dinge eigentlich persönlich klären. Das ist nicht so einfach wie ›Ich will nicht mehr mit dir gehen‹.« Und jetzt, wo Freundschaften das physische und das virtuelle Leben überspannen, muss man es über Welten hinweg »klären«.
    Audreys Benimmregeln dafür, wie man etwas über Welten hinweg klärt, sind kompliziert. Sie findet persönliche Gespräche schwierig und vermeidet es um jeden Preis zu telefonieren. Aber, wie wir gesehen haben, findet sie auch, dass es Dinge gibt, die nur persönlich erledigt werden sollten, wie etwa, mit einem Jungen Schluss zu machen und das »ganze Gefühlszeug«. Als sich ihre Eltern trennten, musste sie umziehen und den Schulbezirk wechseln. Sie war enttäuscht, als eine ihrer Freundinnen von der alten Schule ihr eine Instant Message schickte, in der stand, sie würden sie vermissen. Audreys Kommentar: »Das war wirklich lieb, aber ich hätte mir einfach gewünscht, dass … es hätte mir so viel mehr bedeutet, wenn sie es mir persönlich gesagt hätte. Aber ich konnte es auch verstehen. Wir sehen uns nicht mehr jeden Tag, und wenn man ein Gefühl gerade jetzt hat, im Internet, dann kann man es dem anderen auch gleich sagen; man muss da nicht extra abwarten und so. Ich habe mich wirklich darüber gefreut, aber es war etwas anderes, es zu lesen, als es mit ihrer Stimme zu hören.«
    Während Audrey mir diese Geschichte erzählt, wird ihr bewusst, dass sie verwirrende Regeln aufstellt. Sie versucht, ein bisschen Ordnung hineinzubringen: »Ich vermeide es möglichst zu telefonieren, ich schreibe gern Nachrichten und Instant Messages, und ich bin so oft auf Facebook, dass ich wahrscheinlich den Eindruck erwecke,
dass ich am liebsten alles online machen würde.« Aber einige Dinge, so wie die Beendigung einer Freundschaft, möchte sie gern persönlich abgewickelt haben. Wie Tara und Leonora macht Audrey keinerlei Andeutung, dass es da jemals sehr hilfreich sein könnte zu telefonieren. Telefone sind dafür da, logistisch wieder Ordnung zu schaffen, wenn komplizierte (sich häufig überschneidende) Textnachrichten eine Situation unübersichtlich gemacht haben.
    Als sie überlegt, ob ihre Schulfreundin ihr eine IM geschickt hat, weil sie nicht darüber nachgedacht hat oder nicht »genug Mumm hatte, ihr persönlich etwas Nettes zu sagen«, räumt

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