Verloren unter 100 Freunden
Telefongespräch mit seiner Cousine unterscheide. Er hat den größten Teil des Vormittags damit verbracht, mit ihr Nachrichten hin- und herzuschicken. Die Verweigerung des Telefonierens kann also nichts mit effizientem Zeitmanagement zu tun haben. Seine Antwort kommt prompt: »Sie hat eine unangenehme Stimme.« Und außerdem, sagt er, »sind Textnachrichten direkter. Man braucht keine Gesprächsfüller.« Ihre Interaktion mit Textnachrichten war »reiner Informationsaustausch«. Deval sagt: »Sie hat mir konkrete Fragen gestellt, und ich hab ihr konkret geantwortet. Ein langes Telefongespräch mit jemandem, mit dem man nicht unbedingt telefonieren möchte, kann Zeitverschwendung sein.«
Das Verschicken von Textnachrichten ermöglicht es Deval, eine »Unterhaltung« zu führen, bei der er den Klang einer Stimme, die er irritierend findet, nicht zu hören braucht. Er hat einen Weg gefunden, das Zusammensein mit seiner Cousine im Sommer vorzubereiten, ohne dass er Nettigkeiten mit ihr austauschen oder irgendwelches Interesse an ihr zeigen musste. Beide Parteien sind bereit, ihren Austausch auf eine Transaktion zu beschränken, die auch eine Terminierungs-Software erledigen könnte. Dieses Programm wäre sicherlich ganz bequem, »ohne Gesprächsfüller« und »nur mit Informationen«.
Trotzdem weiß Deval nicht, ob er sein ganzes Leben lang auf diese Art kommunizieren wird. Er sagt, dass er sich vielleicht – nicht jetzt, aber irgendwann demnächst – zum Telefonieren »zwingen« werde. »Vielleicht ist das ein Weg, sich beizubringen, wie man Gespräche führt … weil ich das später ja lernen muss, wie ich eine Grundlage finde, so dass ich etwas habe, worüber ich reden kann, anstatt mein Leben in betretenem Schweigen zu verbringen. Ich habe das Gefühl, heute Telefongespräche zu führen könnte mir auf lange Sicht helfen, weil ich es dann kann.« Heutzutage haben sich
natürlich auch Menschen, die älter sind als Deval, angewöhnt, Telefongespräche zu vermeiden. Wenn man das Gefühl hat, ständig erreichbar zu sein, geht man dazu über, sich vor den Härten zu verstecken, die sich in Echtzeit auftun.
Generationenübergreifende Überforderung
Die Teenager, die ich studiert habe, sind Ende der Achtziger-, Anfang der Neunzigerjahre geboren. Viele von ihnen lernten das Internet durch AOL kennen, als sie noch kaum aus den Kinderschuhen heraus waren. Ihre Eltern dagegen kamen erst als Erwachsene dazu. Auf diesem Gebiet gehören sie zu einer Generation, die von Anfang an gezwungen war, ihre Kinder einzuholen, mit ihnen Schritt zu halten. Und dieses Muster setzt sich fort: Die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe auf Facebook sind Erwachsene zwischen fünfunddreißig und vierundvierzig. 9 Die landläufige Meinung betont, wie stark sich diese Erwachsenen von ihren Kindern unterscheiden – und zieht eine grundlegende Trennlinie zwischen Internet-Einwanderern und »digitalen Eingeborenen«. Aber diese beiden Gruppen haben eine Menge gemeinsam: vor allem vielleicht das Gefühl, überrollt zu werden. Während Teenager, die von den Anforderungen ihrer akademischen und sexuellen Entwicklung stark gefordert sind, dazu übergehen, das Online-Leben als Rückzugsbereich zu nutzen, wo sie sich verstecken und ein paar Grenzen ziehen können, kämpfen ihre Eltern erschöpft darum, besser in den Griff zu bekommen, was auf sie einstürzt. Und der einzige Weg, effektiv zu filtern, ist der, den größten Teil seiner Kommunikation über das Internet abzuwickeln.
Also sind sie immer online, immer bei der Arbeit und immer erreichbar. Ich erinnere mich noch daran – es ist erst wenige Jahre
her –, wie ich mit einer Freundin und ihrem Sohn, einem jungen Rechtsanwalt, dem seine Firma gerade einen Piepser gegeben hatte, Thanksgiving feierte. Zu dieser Zeit machten sich alle am Tisch, den Anwalt selbst eingeschlossen, darüber lustig, dass es bei ihm »juristische Notfälle« geben könnte. Im Jahr darauf konnte er sich gar nicht mehr vorstellen, nicht ständig mit seinem Büro in Kontakt zu sein. Es gab Zeiten, da hatten nur Ärzte Piepser, eine »Bürde«, die man sich abwechselnd teilte. Inzwischen haben wir alle diese Bürde auf uns genommen, verkleidet als Erleichterung – oder einfach als Selbstverständlichkeit.
Wir sind ebenso auf Abruf für unsere Angehörigen wie für unsere Kollegen. Bei einer Morgenwanderung in der malerischen Hügellandschaft der Berkshires laufe ich neben Hope, siebenundvierzig, einer
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