Verloren unter 100 Freunden
beiläufig an, und dann sind auf einmal zwei Stunden vergangen. Ich bin ein Stalker.«
Chris verurteilt sich aber nicht allzu streng. Das öffentliche Ausstellen von Umkleideraum-Fotos ist »furchtbar«, aber es gehört dazu, wenn man beliebt sein will. Außerdem kommt man mit Leuten, die die Fotos betrachten, in Kontakt. Selbst wenn man allein ist,
weiß man, dass die Leute einen ausforschen. Teenager scheinen zu spüren, dass das anders sein sollte, freunden sich aber mit einer neuen Lebensweise an: dem Leben, von dem sie wissen, dass es die Prominenten führen. Also gewöhnt man sich an die Vorstellung, dass, wenn man betrunken ist oder sich gerade in einer delikaten Situation befindet – Dinge, die mit einiger Wahrscheinlichkeit irgendwann in der Highschoolzeit passieren –, irgendjemand ein Foto machen wird, wahrscheinlich mit der Kamera seines Handys. Und ist man erst einmal in dessen Handy gespeichert, findet das Bild auch seinen Weg ins Internet, wo man dann keinen Einfluss auf seine weiteren Reisen hat.
Spionieren ist also eine Übertretung, die nichts übertritt. Ein siebzehn Jahre alter Elftklässler an der Fillmore School beschreibt es als »das Schlimmste. Normal, aber trotzdem unheimlich.« Normal, weil es nicht gegen die Regeln verstößt, die Pinnwandunterhaltungen anderer Leute [in Facebook] zu lesen. Unheimlich, weil »es wie das Belauschen einer fremden Unterhaltung ist, und hinterher habe ich immer das Gefühl, ich brauche eine Dusche«. Dawn, achtzehn, die gerade mit dem College anfängt, sagt, sie sei »besessen« von den »interessanten Leuten«, die ihre neuen Klassenkameraden sind: »Ich verbringe die ganze Nacht damit, ihre Pinnwände zu lesen. Ich verfolge ihre Partys. Ich sehe nach, mit wem sie zusammen sind.« Auch sie sagt: »Wenn ich eine Zeit lang in Facebook war, fühle ich mich schmutzig.« Also verstößt Stalking vielleicht nicht gegen die Regeln, aber es gibt jungen Leuten die Möglichkeit, gegenseitig in ihr Privatleben einzudringen, so dass sie sich wie Spione oder Pornografen vorkommen.
Wenn Teenager das Ausspionieren anderer zu einem Teil ihres Lebens machen, werden sie auch gleichgültig gegenüber Einbrüchen in ihr eigenes Privatleben. Julia sagt: »In Branscomb kriegt man Ärger, wenn Fotos von einem in MySpace auftauchen, die einen
auf Partys zeigen, wo es Bier gibt.« Sie und ihre Freunde glauben, dass sich Schulbehörde und Polizei die MySpace-Accounts der Schüler ansehen. Julias Reaktion ist, selbst aufzupassen und ihre Freunde zu warnen. »Also, ich sag ihnen immer: ›Stell dieses Foto lieber nicht da rein. Du wirst Ärger kriegen.‹« Ein älterer Branscomb-Schüler sagt, er habe »einen regulären und einen geheimen Blog. Auf dem geheimen Blog habe ich einen falschen Namen«, aber später in unserem Gespräch fragt er sich, ob man seinen geheimen Blog über die IP-Adresse seines Computers zu ihm zurückverfolgen kann. Darüber hatte er nicht nachgedacht, bevor wir uns unterhielten. Nun sagt er, die Vorstellung gebe ihm ein Gefühl der »Hoffnungslosigkeit«.
Bei der sechzehn Jahre alten Angela von der Roosevelt-Highschool wurde der Computer »gehackt«. Sie erklärt: »›Hacken‹ ist, wenn jemand auf deine Netzwerkseite geht und alles verändert. Ja, das ist mir mal passiert. Ich weiß nicht, wer es war. Aber es ist passiert. [Ihre Stimme wird leise.] Sie haben das ganze Layout geändert. Und zwar so, als wäre ich eine Lesbe. Ich musste alles wieder löschen. Und alle möglichen Leute fragten mich: ›Ach, bist du jetzt lesbisch?‹ Ich musste jedem erst erklären: ›Nein, ich bin bloß gehackt worden.‹ Das hat mich viel Zeit gekostet. Dann haben sie immer gesagt: ›Ach du Scheiße!‹«
Wenn Leute sich an Ihrer normalen Post zu schaffen machen, dann ist das strafbar. Wenn sie Ihren Social-Network-Account hacken, dann müssen Sie eine Menge Erklärungen abgeben. Als Angela anfing, ihre Geschichte zu erzählen, war offenkundig, dass ihr der Vorfall Angst gemacht hatte. Dann machte sie einen Rückzieher und verharmloste die Sache, indem sie sagte: »Sowas passiert ja nicht jeden Tag.« Das ist die Verteidigungsstrategie derer, die glauben, keine Alternative zu haben. Angela wird MySpace nicht aufgeben. Wütend zu sein ist zwecklos. Also definiert sie das Geschehen
um: Man hat ihr Unannehmlichkeiten bereitet. »Ich war bloß sauer, weil ich jetzt alles nochmal machen musste, aber eigentlich hat es mich nicht besonders aufgeregt. Es passiert ja
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