Verloren unter 100 Freunden
sechzehnjähriger Junge sagt, ihm sei klar, wenn er ein Privatgespräch führen wolle, müsse er sich ein Münztelefon suchen – »die altmodische Sorte« mit Münzen. Das sind Äußerungen, die erschrecken.
Manche Teenager sagen, dass ihre Sorgen um ihre Privatsphäre gar nicht so schlimm seien, wie es vielleicht den Anschein habe, weil in Zukunft ohnehin jeder, der eine Arbeit sucht, und jeder, der im Begriff ist, einen Posten bei der Justiz oder bei einem wichtigen Unternehmen anzutreten, eine für jeden zugängliche Internetvergangenheit mit signifikanten Indiskretionen haben wird. 6 In dieser Version der Geschichte wird das unbarmherzige digitale Gedächtnis einem nicht zum Verhängnis werden, sondern eine tolerantere Gesellschaft hervorbringen. Andere kommen mit einem Generationen-Argument: »Die Besitzer von Facebook sind junge Leute.« Diese Vorstellung ruft bei Investoren, Besitzern, Managern, Erfindern, Unternehmenssprechern und Aktionären Stirnrunzeln hervor. Die Teenager haben keine Ahnung, wie die Unternehmen tatsächlich funktionieren oder geleitet werden. Aber das ist nicht überraschend. Wenn man sein Leben auf Facebook oder MySpace oder Google führt, will man wissen, dass »gute Leute« diese Firmen in
Händen haben. Gute Leute sind solche, deren wichtigste Eigenschaften sich mit den eigenen decken. Die entscheidende Eigenschaft junger Leute aber ist die, dass sie jung sind.
Tatsächlich liefert sich Facebook schon von Anfang an eine Art Tauziehen mit seinen Nutzern um die Frage, in welchem Maße es über deren Daten verfügen kann. Das Muster ist, wie vorauszusehen, dass Facebook das Besitzrecht an allem fordert und versucht, daraus wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen. Dann regt sich Widerstand, und Facebook macht einen Rückzieher. Darauf folgt ein weiterer Vorstoß, meist etwas weniger weitgehend als der vorherige. Eine Sechzehnjährige sagt – und ihr Kommentar ist typisch: »Ach, die [Facebook] ändern doch dauernd ihre Bestimmungen. Man kann versuchen, etwas daran zu verändern, aber meistens ist das ganz klein gedruckt.« Sie selbst liest das Kleingedruckte nicht. Sie geht davon aus, dass sich Facebook am Ende sowieso nimmt, was es will. »Man kann versuchen zu erreichen, dass Facebook etwas ändert. Vielleicht tun sie es nach Jahren. Vielleicht auch nicht. So ist das eben.« Googles Vorstöße und Rückzieher in dieser Arena zeigen ähnliche Muster. 7 Solange die jungen Leute Facebook und Google für unentbehrlich halten, werden sie den Unternehmen die Informationen liefern, die sie verlangen. Sie wissen einfach nicht, was sie sonst tun sollten.
Manche Internet-Unternehmer stehen auf dem Standpunkt, dass da nicht viel zu machen sei. 8 Bereits 1999 sagte Scott McNealy, Mitbegründer von Sun Microsystems: »Ihr habt sowieso null Privatsphäre; findet euch damit ab.« 9 Zehn Jahre später ging Eric Schmidt, der Hauptgeschäftsführer von Google, noch einen Schritt weiter: »Wenn ihr etwas habt, das ihr niemanden wissen lassen wollt, dann solltet ihr es vor allem auch nicht tun.« Kürzlich soll er vorausgesagt haben, dass in naher Zukunft alle jungen Leute automatisch das Recht haben werden, ihren Namen zu ändern, um ihrer Online-Vergangenheit zu entkommen. 10
Die Privatsphäre und die Angst vor dem, was bleibt
Anfang 1990 fing ich an, Leute zu studieren, die im Internet mit ihrer Identität herumexperimentierten. Sie erschufen Avatare und Internetseiten. Sie spielten Ritter und Racheengel. In dieser Anfangszeit war es an der Tagesordnung, dass Webseiten und virtuelle Schauplätze einfach verschwanden, weil die begeisterten Betreiber das Interesse verloren, keinen Zugang mehr zu einem Server hatten oder etwas Neues erfanden. Wenn das passierte, suchten sich die Leute neue virtuelle Spielwiesen. Diese Wanderungsbewegungen konnten bedeuten, dass die gesamte Arbeit, die man in einen Avatar und eine virtuelle Gemeinschaft investiert hatte, umsonst war. Das Internet schien eine vergängliche Sache zu sein.
Die Facebook-Generation geht mit anderen Vorstellungen online. Sie erwartet, dass Facebook oder dessen Nachfolger-Unternehmen für immer da sein werden. Diese Erwartung ist ein Ansporn, »sich zu benehmen«. Natürlich vergaloppiert sich der eine oder andere gelegentlich. Gloria, achtzehn, denkt darüber nach, was sie schon so alles in Facebook gepostet hat, und sagt: »Das ist, als könnte mich das Internet damit erpressen.« Sie ist vorsichtiger geworden. Sie kann sich nicht
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