Verloren unter 100 Freunden
dieser Satzkonstruktion ist es bezeichnenderweise Facebook, das seinen Willen ausübt.
Andere Cranston-Schüler beschreiben denselben Druck. Für einen älteren Jungen »muss man Facebook etwas geben, um etwas von Facebook zu bekommen«. Er fährt fort: »Wenn man es nicht benutzt, werden die Leute auch nicht mit einem reden. Sie werden sehen, dass keiner mit einem kommuniziert, und das führt, glaube ich, dazu, dass Kinder sich jeden Tag stundenlang auf Facebook tummeln, um das zu verhindern.« Wie ein gelenkiger, sportgestählter Körper will auch ein ansprechendes Online-Ich trainiert werden. Eine Zehntklässlerin sagt: »Ich werde nervös, wenn mein letzter Pinnwand-Eintrag schon eine Woche alt ist, denn das sieht aus, als wäre man ein Trottel. Es spielt wirklich eine Rolle. Die Leute wissen, dass die anderen einen danach beurteilen.« Ein älterer Junge erklärt mir akribisch, wie man »sein Facebook in Schuss hält«. Erstens muss man seine Energie gut einteilen. »Es ist Zeitverschwendung«, sagt er, »Facebook-Messaging zu benutzen«, weil diese Nachrichten sich wie eine E-Mail nur zwischen zwei Korrespondenten
abspielen. »Das bringt nichts für dein Image.« Das Wichtigste ist, »jeden Tag ein bisschen Zeit darauf zu verwenden, etwas auf die Pinnwand anderer zu schreiben, so dass sie dir auf deiner antworten. Wenn man das gewissenhaft tut, vermittelt es den Eindruck, man wäre beliebt. Wenn nicht«, sagt er düster, »kann man ein Problem kriegen.« Ein anderer älterer Junge beschreibt die Ängste, die damit zusammenhängen, die Bestie zu füttern:
»Manchmal gehe ich online und denke so: ›Mein letzter Pinnwand-Eintrag ist eine Woche her.‹ Ich überlege: ›Das ist nicht gut. Jeder wird es sehen und sich sagen: Der hat ja gar keine Freunde.‹« Also werde ich nervös und denke: ›Ich muss was auf die Pinnwand von irgendjemand anderem schreiben, so dass er zurückschreibt und es aussieht, als würde ich wieder Freunde haben.‹ Darum dreht sich bei mir alles auf Facebook.«
Hannah wurde ebenfalls zu einem Opfer dieser Denkweise, und die Zeit auf Facebook lief ihr aus dem Ruder. Sie erklärt, wie eins zum anderen führte: »Man ist online. Jemand fragt einen etwas. Man hat das Gefühl, dass es ihn wirklich interessiert. Das gibt einem ein gutes Gefühl, also schreibt man weiter. … Das ist, als wenn einem jemand stundenlang schmeichelt. Aber wer steckt eigentlich dahinter?« Jetzt, wo sie zunehmend darüber nachdenkt, erscheint ihr sogar ihre Beziehung zu Ian dürftig. Sie hat langsam das Gefühl, dadurch, dass sie versucht, etwas über Ian herauszufinden, immer mehr von dem isoliert zu werden, was sie »persönliche Tag-für-Tag-Verbindungen« nennt. Das sind, wird ihr klar, »einfach so viele Stunden am Tag«. Und tatsächlich macht sie, als wir uns treffen, gerade eine Pause mit dem IRC-Kanal. Aber Ian fehlt ihr, und sie glaubt nicht, dass sie lange durchhalten wird.
Verstecken und bespitzeln
Julia hat Angst, sich in MySpace mit ihrem Vater »anzufreunden«, weil sie nicht weiß, ob sie dann der Versuchung widerstehen könnte, ihm nachzuspionieren. Jemandem nachspionieren ist ein anrüchiges Vergnügen. Es erzeugt ein schlechtes Gewissen und macht Angst, aber Chris, neunzehn, ein älterer Hadley-Schüler, erklärt, wie es zur Gewohnheit wird. Jedes Handy hat eine Kamera, und seine Freunde machen die ganze Zeit Fotos. Dann stellen sie die Fotos in Facebook ein und »markieren« sie. Das schließt in der Regel ein, jedes Foto mit den Namen aller darauf befindlichen Personen zu versehen. Es gibt eine Menge »markierter« Fotos von Chris im Internet, »Bilder von Partys, im Umkleideraum, und wenn ich mit meinen Freunden herumziehe«. Auf Facebook kann man nach allen Fotos eines beliebigen Menschen suchen. Und damit beginnt häufig das Nachspionieren. Chris sieht gut aus und ist sehr sportlich. Er weiß, dass viele Mädchen sich seine Fotos ansehen. »Das schmeichelt mir ein bisschen, aber ich fühle mich auch irgendwie belagert. … Einige der Fotos stellen mich zur Schau, aber jeder hat lauter solche Bilder im Internet.« Und er ist nicht in der Position, den ersten Stein zu werfen. Denn auch er beobachtet in Facebook Mädchen, die ihn interessieren: »Ich erwische mich dabei, wie ich mir ein Mädchen, das mir gefällt, aussuche und die Spur ihrer markierten Fotos verfolge. Man kann sehen, mit wem sie rumhängt. Ist sie beliebt? Könnte es sein, dass sie einen Freund hat? Ich fange ganz
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