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Verloren unter 100 Freunden

Verloren unter 100 Freunden

Titel: Verloren unter 100 Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherry Turkle
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Mittel, dass die Heimleitung irgendwann beschloss, unsere Studie abzubrechen. Dieser Vorfall zeigt, wie angespannt die finanzielle Lage in den Altenpflegeheimen ist, die gerne soziale Roboter einsetzen würden. Gerade deshalb besteht jedoch die Gefahr, dass Roboter, wenn sie auch nur einigermaßen erfolgreich sind, eines Tages das menschliche Personal ersetzen werden. In unserem konkreten Altenpflegeheim stellte man fest, dass die Bewohner dem Roboter nicht genügend Aufmerksamkeit schenkten, und schaffte ihn kurzerhand wieder ab, mitsamt dem Menschen, der ihn begleitete. Für uns war das eine bedrückende Erfahrung.
    Einfühlsame Maschinen
    Vor fünfundzwanzig Jahren haben die Japaner berechnet, dass die Demographie gegen sie arbeite – es würde nicht genügend junge Menschen geben, die sich um die alternde Bevölkerung kümmern könnten. Man beschloss, für diese Aufgabe keine Ausländer ins Land zu holen, sondern Roboter zu bauen. 4 Während einige der für Japans alternde Bevölkerung entwickelten Roboter primär ein Werkzeug sind, das alltägliche Handgriffe erleichtern soll – Bäder einlassen, Medikamente ausgeben –, wurden andere ausdrücklich als Gefährten konstruiert.
    Der japanische Roboter Wandakun, Ende der Neunzigerjahre entwickelt, ist ein kuscheliger Koalabär, der auf Streicheln mit Singen und Schnurren reagiert und ein paar Sätze spricht. Nach einem
einjährigen Pilotprojekt, bei dem das »Geschöpf« an Bewohner eines japanischen Altenheims verteilt worden war, sagte ein vierundsiebzig Jahre alter Heimbewohner: »Als ich in Wandakuns große braune Augen schaute, habe ich mich nach Jahren der Einsamkeit auf der Stelle verliebt … Ich habe geschworen, für das kleine Tier zu sorgen und es zu beschützen.« 5 Von dem Pilotprojekt ermutigt, begannen japanische Forscher, künstliche Gefährten als Heilmittel gegen die Unannehmlichkeiten und die Einsamkeit des Alters zu betrachten.
    Deshalb beginnt nun seit über einem Jahrzehnt jede Konferenz über Roboter und Senioren mit einem Verweis auf das japanische Experiment und mit der Versicherung, Japans Zukunft sei auch die unsrige: Es gebe nicht genügend Pflegepersonal für die alternden Amerikaner, deshalb solle man doch bitteschön die Hilfe von Robotern in Anspruch nehmen. 6 Darüber hinaus argumentieren amerikanische Enthusiasten, dass Roboter geduldiger mit den schrulligen und vergesslichen Alten umgehen würden, als jeder Mensch es je könnte. Der Roboter ist demnach also nicht nur besser als nichts, nein, der Roboter wird besser sein als ein menschlicher Altenpfleger.
    Im Herbst 2005 fand ein Symposium statt, das den Titel »Einfühlsame Maschinen: Künstliche Intelligenz in der Altenpflege« trug. Zu Beginn wurde eine Broschüre verteilt, in der von der »explodierenden« Zahl alter Menschen und der »schwindenden Zahl von Pflegenden« die Rede war. 7 Die moderne Technologie sei natürlich die perfekte Lösung. Auf dem Symposium wurde viel von der heilsamen Wirkung »einfühlsamer Maschinen« gesprochen. Ich habe einige der Teilnehmer – Wissenschaftler, Altenpfleger, Philosophen, Psychologen, Heimleiter und Repräsentanten von Versicherungsgesellschaften – gefragt, ob nicht schon der Titel des Symposiums suggeriere, Maschinen könnten wirklich einfühlsam sein.

    Einige meiner Gesprächspartner versuchten mir zu versichern, »einfühlsam« bedeute, dass die Maschinen auf unsere Bedürfnisse eingehen, nicht, dass sie mitfühlen würden. Um Gefühl geht es also nicht, sondern um Handlungen. Ein Physiker erklärte: »Wie eine Maschine, die Fußnägel schneidet. Oder einen wäscht. Oder die mit einem spricht, wenn man sich einsam fühlt. Das ist eine einfühlsame Maschine.« Manche Leute reagierten unwirsch auf meine sprachlichen Einwände, warfen mir semantische Haarspalterei vor. Ich halte es für keine Haarspalterei.
    Ich denke an Miriam zurück, die Zweiundsiebzigjährige, die Trost darin fand, ihrem Paro ihr Herz auszuschütten. Paro »befriedigte« Miriams Bedürfnis, ihre Geschichte loszuwerden – er schaffte Raum für die zu erzählende Geschichte –, aber ihn kümmerte Miriam oder das Erzählte nicht. Das ist eine neue, durch ein neues Sprachverständnis geförderte Art von Beziehung. Obwohl der Roboter nichts begriff, erzählte Miriam ihre Geschichte zu Ende. Mehr noch, sie wurde vom Pflegepersonal bestärkt, das sich für sie freute, dass sie einer Maschine ihr Herz ausschüttete. Zu behaupten, Miriam habe mit Paro ein

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