Verloren unter 100 Freunden
folgt als Nächster? Die gegenwärtige Roboterforschung sieht den Einsatz sozialer Maschinen vor allem für Krankenhauspatienten, Alte, Körperbehinderte
und Autisten vor – ganz allgemein für körperlich und geistig Behinderte. Wenn Roboter ins Spiel gebracht werden, ist immer die Rede davon, dass wir nicht genügend Personal hätten, um diese »Menschen mit Problemen« zu betreuen. Menschen sind rar – oder sie haben sich rar gemacht. Aber während wir unser Leben leben, haben wir alle unsere Schwierigkeiten, unsere »Probleme«. Wird man in Zukunft nur noch den Wohlhabenden und »gut Angepassten« die Gesellschaft von ihresgleichen gewähren? 8
Wenn Kinder fragen: »Haben wir keine Menschen für diese Jobs?«, erinnern sie uns daran, dass die Verteilung von Ressourcen eine soziale Entscheidung ist. Kinder und Senioren werden erst dann zum Problem, wenn wir beschließen, dass wir keine Zeit oder keine Ressourcen haben, um sie zu betreuen. Wie es scheint, ist die Versuchung groß, bestimmte Phasen des Lebenszyklus zu Problemen zu erklären und technologische Mittel zur Lösung dieser Probleme einzusetzen. Aber warum ist die Zeit für den Roboter gekommen? Wir haben gelernt, uns an die Industrieroboter in den Fabriken zu gewöhnen. Wird es uns mit Roboter-Altenpflegern genauso gehen?
Es ist ein heiß umkämpftes Terrain. Zwei Brüder sind sich uneins, ob sie ihrer vierundneunzigjährigen Mutter einen Paro kaufen sollen oder nicht. Der Roboter ist teuer, aber der ältere Bruder hält es für eine lohnende Investition. Er sagt, die Mutter sei »depressiv«. Der jüngere Bruder lehnt den Roboter ab mit der Begründung, die Mutter habe das Recht, traurig zu sein. Vor fünf Monaten hat sie ihren Mann verloren, mit dem sie siebzig Jahre verheiratet war. Die meisten ihrer Freunde sind gestorben. Traurigkeit ist angemessen in dieser Phase ihres Lebens. Der jüngere Bruder beharrt darauf, dass die Mutter vor allem menschliche Zuwendung benötige: »Sie muss unter Leuten sein, die auch Mütter und Ehemänner und Kinder verloren haben.« Sie stehe vor der Aufgabe, Abschied zu nehmen,
die Bedeutung der Dinge zu verstehen. Es sei kein Zeitpunkt, um sie mit Roboterspielen aufzuheitern. Aber der Druck, genau dies zu tun, ist enorm. Das Pflegepersonal in den Einrichtungen wirkt oft erleichtert von der Aussicht auf einen zu Hilfe eilenden Roboter.
Maschinen als Heilmittel
Wenn ich soziale Roboter in Altenpflegeheime bringe, sind Pflegepersonal, Ärzte und Heimleiter immer voller Hoffung. Über Paro sagt der Direktor eines Altenheims: »Die Einsamkeit macht die Leute krank. Paro könnte diesen negativen Faktor zumindest teilweise abmildern.« Der Roboter wird zum Heilmittel. Vielen Pflegerinnen und Pflegern gefällt die Vorstellung, dass der Roboter nicht nur besser als gar keine Gesellschaft sein könnte, sondern besser als ihre eigene Gesellschaft. Sie haben so wenig Zeit und so viele Patienten. Nicht wenige Pfleger und Heimleiter berichten, wie bereitwillig die Senioren die Roboter »tolerieren« – was keine Überraschung ist, wenn man den Senioren wenig anderes präsentiert. Und manchmal sagen sogar die engagiertesten Pflegerinnen und Pfleger, dass Roboter sich um die »Schwierigkeiten« des Alters kümmerten, indem sie, wie einer es formulierte, »Trost, Unterhaltung und Ablenkung« böten. 9 Ein Arzt, den die Aussicht auf reaktionsfähige Roboterhaustiere sichtlich freut, sieht nur das Gute: »Furbys für Opa und Oma«, lacht er.
Tatsächlich verhalten Senioren sich bei Robotern anfangs genauso wie Kinder – sie versuchen das Wesen des Dings zu ergründen, dem sie sich gegenübersehen. Bei einem Paro haben sie viele Fragen: »Kann er noch mehr tun? Ist es eine Robbe oder ein Hund? Ist es ein Er oder eine Sie? Kann es schwimmen? Woher stammt es? Hat es einen Namen? Frisst es?« Und schließlich: »Was sollen wir damit tun?« Als die Antwort lautet: »Einfach mit ihm zusammen sein«,
verlieren nur wenige das Interesse. Mit der Zeit entwickeln viele Senioren eine Bindung zu Paro. Sie erzählen ihm Geschichten und Geheimnisse. Mit dem Roboter als Partner lassen sie ihr Leben noch einmal aufleben. Um dies zu tun, müssen sie ihre Verlegenheit überwinden, dass man sie beim Spielen mit einer Puppe sieht. Vielen Senioren gelingt dies, indem sie Sachen sagen wie: »Die Leute halten mich für verrückt, wenn sie mich mit dem Ding reden sehen.« Sobald sie sich für nicht verrückt erklärt haben, können sie ihre Beziehung
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