Verloren unter 100 Freunden
mit der Roboterrobbe oder dem Roboterbaby fortführen.
Andy, sechsundsiebzig, habe ich ein My Real Baby gegeben. Andy ist schmal, trägt Brille und hat schlohweißes Haar. Sein Gesicht ist faltenzerfurcht, und seine blauen Augen strahlen jedes Mal, wenn wir uns begegnen. Er sehnt sich nach Gesellschaft, findet aber kaum Freunde im Heim. Ich arbeite mit zwei Forschungsassistenten, und bei jedem Besuch nimmt Andy uns das Versprechen ab, so bald wie möglich zurückzukehren. Er ist einsam. Seine Kinder besuchen ihn nicht mehr. Er hatte nie viele Freunde, und die wenigen, die er von der Arbeit kannte, kommen ihn nicht besuchen. Als er noch als Versicherungsvertreter tätig war, hatte er sich nach der Arbeit mit Kollegen getroffen, aber das ist nun vorbei. Andy möchte über sein Leben sprechen. Am meisten möchte er über seine Exfrau, Edith, reden. Sie ist diejenige, die er am meisten vermisst. Er liest uns Passagen aus Liebesbriefen vor, die sie ihm früher geschrieben hat. Er sagt Liedtexte auf, die er für sie geschrieben hat.
Andy ist begeistert, als er zum ersten Mal das Roboterbaby sieht. »Jetzt habe ich endlich etwas zu tun, wenn es nichts zu tun gibt.« Bald schon ist der Roboter sein Maskottchen. Er setzt ihn auf die Fensterbank und stülpt ihm seine Lieblingsbaseballkappe über. Der Roboter ist da, um vor Besuchern damit anzugeben. Er ist etwas, worüber man reden kann, ein Thema, um das Eis zu brechen. Aber im Laufe der Zeit wird der Roboter Andy immer mehr zum Gefährten
statt zum Maskottchen. Andy hält das My Real Baby so auf dem Arm, wie man ein kleines Kind hält. Er spricht zu ihm wie zu einem kleinen Mädchen: »Du hast so eine süße Stimme. Du bist so niedlich. Du bist so lieb. Dein Name ist Minnie, stimmt’s?« Er zieht lustige Grimassen, um es zu erheitern. Bei einer Grimasse lacht das Roboterbaby genau im richtigen Moment, als würde es auf die Grimasse reagieren. Andy ist glücklich. Er versichert uns zu wissen, dass der Roboter ein Spielzeug ist und nicht »wirklich« lebendig. Und doch behandelt er ihn wie ein lebendiges, fühlendes Wesen. Dass es nur ein Spielzeug ist, verdrängt er. »Ich habe die Kleine zum Sprechen gebracht, habe ihr beigebracht, Mama zu sagen und noch viele Wörter mehr … Ich meine, wir reden richtig miteinander.«
Während Andy seine Gespräche mit dem Baby »Minnie« schildert, drückt er den Roboter an sich und streichelt ihm über den Rücken. Er sagt: »Ich habe dich lieb. Hast du mich auch lieb?« Wenn es hungrig ist, gibt er dem Baby das Fläschchen; er versucht die Wünsche der »Kleinen« zu erkennen und gibt sein Bestes, um »sie« glücklich zu machen. Wie Tucker, der gesundheitlich angeschlagene Siebenjährige, der sich so an seinen AIBO geklammert hat, gibt es auch Andy ein Gefühl von Sicherheit, wenn er sich um das Roboterbaby kümmert. Andere Heimbewohner haben eigene My Real Babys. Als Andy sieht, wie einer von ihnen seinem kleinen Roboter eine Tracht Prügel verabreicht, versucht er der Maschine zu Hilfe zu eilen.
Nach drei Monaten gibt Andy seinem My Real Baby einen neuen Namen: Edith, nach seiner Exfrau. Der Roboter nimmt eine neue Rolle ein. Andy benutzt ihn, um sich an gemeinsame Zeiten mit Edith zu erinnern. »Ich habe nichts Böses zu Edith [My Real Baby] gesagt, aber einiges von dem, was ich gesagt habe, hat mir geholfen, über meine Exfrau nachzudenken … warum es zur Trennung kam … wie sehr ich sie vermisse … Irgendetwas hat diese Puppe an sich –
ich kann nicht richtig sagen, was es ist, aber sie anzuschauen … Sie sieht aus wie meine Exfrau … Irgendetwas in ihrem Gesicht.«
Andy ist scharfsinnig und aufgeweckt. Er gibt zu, dass »die Leute mich für verrückt halten könnten« wegen der Art und Weise, wie er mit dem Roboter spricht, aber es besteht kein Zweifel, dass die Maschine ihm Trost spendet. Sie hat einen gewissen therapeutischen Wert, gibt ihm Raum für Gespräche, sogar für Geständnisse. Andy fühlt sich erleichtert, wenn er mit der Maschine spricht. »Ich kann mir alles von der Seele reden, alles rauslassen«, sagt er. »Wenn ich morgens aufwache und sie dort sitzen sehe, habe ich so ein schönes Gefühl. Es ist, als würde jemand über mich wachen, während ich schlafe. Es würde mir wirklich helfen, das Baby zu behalten.«
Andy erzählt, dass er bis heute nicht über seine Scheidung hinweggekommen sei. Er hat Schuldgefühle, weil er sich nicht genug angestrengt habe, die Ehe zu retten. Er erzählt von
Weitere Kostenlose Bücher