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Verloren unter 100 Freunden

Verloren unter 100 Freunden

Titel: Verloren unter 100 Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherry Turkle
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für ein so wertvolles Hilfsmittel zu zahlen. Und Paro, so Shibata weiter, sei kein Spielzeug. Er reagiere darauf, wie man ihn behandelt (ist eine Berührung sanft oder aggressiv?) und was man ihm sagt (er versteht rund fünfhundert englische Wörter und noch mehr japanische). Er habe sich als
ein Objekt erwiesen, das depressive und verzweifelte Menschen beruhigen könne. Shibata vertrat auch die Ansicht, dass Paro im Gegensatz zu einem Spielzeug äußerst robust sei und gerüstet für den Langzeiteinsatz in der Altenpflege. Ich biss mir auf die Lippe: Bei mir im Kelller lagen drei kaputte Paros, Opfer meiner eigenen Altenpflegeheim-Studien. Warum nur glauben wir immer, dass die neueste Technologie, die wir aus dem Ärmel zaubern, nicht nur heilsam, sondern auch unzerstörbar sein wird?
    Im Gegensatz zu den enthusiastischen Konferenzteilnehmern haben meine Mitarbeiter und ich immer wieder erlebt, dass Kinder sich Sorgen machten. Diese Kinder räumten zwar ein, dass Roboter ihren Großeltern aus der Isolation heraushelfen könnten, fürchteten jedoch gleichzeitig auch, dass sie sich dabei als zu hilfreich erweisen könnten. Stets ruhige und gehorsame Roboter könnten Rivalen der Enkel um die Zuneigung der Großeltern werden. Wenden wir uns nun ebenjenen Großeltern zu. Über mehrere Jahre hinweg habe ich Senioren – zu Hause und in Altenpflegeheimen – die Roboter vorgestellt, die ihre Enkel so faszinierten: My Real Baby, AIBO und Shibatas Paro. Die besorgten Kinder lagen gar nicht so falsch mit ihrer Einschätzung: Die meisten Senioren sind begeistert von den Robotern und scheinen sie mitunter einem echten Menschen vorzuziehen. 3
    Einem Altenheim überlasse ich über den Sommer vier My Real Babys. Als ich im Herbst zurückkehre, gibt es dort sieben. Die Nachfrage nach dem Roboterbaby war so hoch, dass das Pflegepersonal auf eBay Nachschub besorgt hat. Wie populär My Real Baby unter Kindern auch sein mag, es sind tatsächlich vor allem alte Menschen, die sich in den Roboter verlieben. Diese Maschinen brauchen Zuwendung, und das gibt den Senioren das Gefühl, gebraucht zu werden. Das »Baby« scheint echte Anforderungen an seine Benutzer zu stellen, was zum Teil natürlich daran liegt, dass das
Heimpersonal sie in diesem Eindruck bestärkt. Die Senioren benötigen Pflege, und es gibt nur weniges, was sie ohne fremde Hilfe bewerkstelligen können. Viele glauben, ein echtes Haustier würde sie überfordern. My Real Baby scheint eine sichere Sache zu sein, und weil es ein Roboter ist, der ihnen von einer MIT-Dame gebracht wurde, scheint es eine Sache für Erwachsene zu sein. Und einen Roboter um sich zu haben gibt den Senioren das Gefühl, ein »wichtiges« Gesprächsthema zu haben.
    Die nachdenklichen Fünftklässler vermuteten, ihre Großeltern würden sich auf Roboter einlassen, weil sie, anders als Haustiere, nicht stürben. Die Kinder hatten recht. In Gegenwart von Robotern kommen Senioren rasch auf den Aspekt zu sprechen, dass diese »Geschöpfe« nicht sterben können, weil man sie ja schließlich reparieren könne. Die Kinder glaubten, dass das My Real Baby einige der alten Leute an ihre eigene Elternzeit erinnern würde, und tatsächlich leistete es für manche der Senioren sogar mehr, als nur Erinnerungen zurückzubringen: Es bot ihnen die Möglichkeit, sich noch einmal in ein richtiges Alltagsleben »hineinzufühlen«. Aber trotz alledem finde ich keine wirklich überzeugenden Argumente für den Einsatz von Robotern in der Altenpflege. In den Pflegeheimen, die ich besuchte, war die »Zeit mit Robotern« Teil des täglichen Beschäftigungsprogramms. Also verbrachten die Senioren eben Zeit mit Robotern. Aber wenn man sie heute, nach mehrjähriger Studie, vor die Wahl stellt, ob sie lieber mit einem Roboter Zeit verbringen möchten oder mit einem Forscher des MIT-Teams, entscheiden die meisten sich für Letzteren.
    Während der Jahre unserer Altenpflegeheim-Studien schien es immer ganz offenkundig, dass die Senioren vor allem wegen meiner intelligenten, netten und äußerlich ansprechenden Forschungsassistenten zu den Roboter-Besprechungen kamen. Besonders ein bestimmter junger Mann war ein deutlich attraktiveres Objekt der Begierde
als der Paro, den er den Senioren nahezubringen versuchte. Mich beschlich das Gefühl, dass die weiblichen Heimbewohner bei den Roboter-Sitzungen vor allem deshalb mitmachten, weil der gutaussehende junge Mann anwesend war. Das betreffende Heim verfügte über so knapp bemessene

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