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Verloren unter 100 Freunden

Verloren unter 100 Freunden

Titel: Verloren unter 100 Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherry Turkle
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Gespräch geführt, bedeutet, nicht zu wissen, was ein Gespräch ist. Der Umstand, dass wir nun Robotergefährten für alte Menschen entwickeln und bauen, markiert einen Wendepunkt: Wir bitten die Technologie, etwas zu leisten, was einst als »Liebesmüh« bezeichnet wurde: füreinander da zu sein, sich umeinander zu kümmern.
    Bei dem Symposium hatte ich das Gefühl, dass die Forschergemeinde und die Industrie geneigt sind, Miriams Erfahrung als neuen Standard in der Altenpflege zu betrachten. Die Auffassung anzunehmen, dass die Darstellung von Anteilnahme bereits Anteilnahme genug ist, wird vereinfacht dadurch, dass man bestimmte Aufgaben für den Robotereinsatz zuschneidet. Wenn man die Arbeit in der Altenpflege zunehmend reglementiert und sie als quasi-maschinelle
Zuwendung definiert, fällt es uns leichter, einen Roboterpfleger zu akzeptieren. Wenn Senioren von unterbezahltem Pflegepersonal betreut werden, das seine Arbeit seelenlos und mechanisch erledigt, fällt es uns leichter, uns für die Roboter-Idee zu erwärmen.
    Menschen aber sind zu einem höheren Pflegestandard fähig, nämlich zu dem, der mit Empathie einhergeht. Der Roboter kann das nicht. Trotzdem ist Tim, dreiundfünfzig, dessen Mutter im selben Altenheim lebt wie Miriam, dankbar für Paros Anwesenheit. Tim besucht seine Mutter mehrmals in der Woche. Die Besuche waren für ihn in der Vergangenheit immer schmerzhaft. »Sie saß den ganzen Tag in diesem miefigen Raum herum und starrte an die Wand«, sagt Tim über seine Mutter, das leidvolle Bild noch immer deutlich vor Augen. »Es gab einen kleinen Fernseher, aber der war wirklich extrem klein und stand ganz hinten in der Ecke des ziemlich großen Raums. Inzwischen ist es verboten, dort zu rauchen, seit fünf Jahren schon, aber man riecht den Rauch noch heute. Er ist überall, hängt in den Vorhängen, in den Sofas … Es hat mir jedes Mal das Herz gebrochen, sie dort zurückzulassen.« Er erzählt mir, durch mein Roboter-Projekt hätten sich die Dinge verbessert. Er sagt: »Ich finde es schön, dass Sie meiner Mutter den Roboter gegeben haben. Sie hält ihn auf dem Schoß und spricht mit ihm. Es ist nicht mehr so deprimierend, wenn ich mich am Ende von ihr verabschiede.« Paro lindert Tims Schuldgefühle, weil er seine Mutter an einem so deprimierenden Ort zurücklässt. Nun ist sie nicht mehr ganz allein. Aber nach welchem Maßstab ist sie nicht mehr ganz allein? Können Robotergefährten eine kranke Seele heilen?
    Tim liebt seine Mutter. Das Pflegepersonal empfindet Mitgefühl für Miriam. Aber wenn unsere Erfahrungen mit Bezugsartefakten (sie arbeiten auf eine Weise, die uns dazu bringt, uns mit »vorgespielter« Anteilnahme zu begnügen) auf einer fundamentalen Täuschung
beruhen, können sie dann gut für uns sein? Oder könnten sie nur im diffusen Sinn eines »Sich-Wohlfühlens« gut für uns sein? Die Antworten auf diese Fragen hängen nicht davon ab, was Computer bzw. Roboter heutzutage oder in der Zukunft zu leisten vermögen. Sie hängen davon ab, wie wir sein werden, zu welcher Art Mensch wir werden, während wir uns selbst und unsere Angehörigen in immer intimere Beziehungen mit Maschinen hineinmanövrieren.
    Einige Roboter wurden dazu entwickelt, Medikamente an Senioren auszugeben, ihnen Lebensmittel aus Regalen herunterzureichen und ihren Gesundheitszustand zu überwachen. Ein Roboter kann registrieren, dass ein alter Mann zu Hause auf dem Fußboden liegt, was ein Hinweis auf einen Notfall sein könnte. Gegen diese Maschinen ist nichts einzuwenden. Aber Paro und andere soziale Roboter sind als Gefährten konstruiert. Dies führt uns zu der Frage zurück, warum wir, wie die Kinder es formuliert haben, »keine Menschen für diese Jobs haben«? Ist es so weit gekommen, dass wir alte Menschen als Nicht-Personen betrachten, die keinen menschlichen Ansprechpartner brauchen? Ich mache die Erfahrung, dass die Leute den Einsatz von Robotern am ehesten bei Alzheimer- oder Demenzpatienten befürworten. Die Philosophen sagen, dass unsere Fähigkeit, uns in den anderen hineinzuversetzen, wesentlich sei für das Menschsein. Verliert ein Mensch diese Fähigkeit, könnte ein Roboter eine angemessene Gesellschaft sein, denn beide zeichnet dieselbe Unfähigkeit aus.
    Aber Demenz ist für den Betroffenen oft furchteinflößend. Vielleicht benötigen gerade diese Patienten nicht am wenigsten, sondern am meisten menschliche Zuwendung. Und wenn wir Alzheimerpatienten Roboter an die Seite stellen, wer

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