Verloren unter 100 Freunden
seiner schwachen, aber inbrünstigen Hoffnung, eines Tages wieder mit Edith zusammenzukommen. Mit dem Roboter spielt er verschiedene Szenarien durch, wie es dazu kommen könnte. Manchmal scheint Andy sich damit zu begnügen, dass diese Wiedervereinigung erst nach seinem Tod geschehen könnte, und auch darüber spricht er mit dem Roboter.
Jonathan, vierundsiebzig, ein ehemaliger Computertechniker, wohnt seit zwei Jahren im selben Heim wie Andy. Er benutzt einen Gehstock und kann sich nur mühsam bewegen. Er fühlt sich isoliert, aber kaum jemand wagt sich an ihn heran. Jonathan gilt als schroff. Seinem früheren Beruf gemäß betrachtet Jonathan das My Real Baby zunächst wie ein Ingenieur und hofft, seine technischen Geheimnisse zu lüften.
Als er das erste Mal allein mit dem Roboter ist, bringt er einen Kreuzschlitz-Schraubenzieher mit; er möchte herausfinden, wie die
Maschine funktioniert. Mit unserer Erlaubnis nimmt er den Roboter auseinander, aber am Ende steht er vor einem Rätsel, so wie die meisten von uns bei computerisierten Dingen. Als alle Einzelteile vor ihm auf dem Tisch liegen, ist ein Teil übrig, dessen Funktionsweise Jonathan schleierhaft ist: ein Chip. Genau wie Jonathan habe auch ich mit einem Schraubenzieher eine sprechende Puppe auseinandergenommen. Das war Nona, die mir mein Großvater geschenkt hat, als ich fünf war. Ich war neugierig, weil ich nicht wusste, woher die Stimme kam. Als ich die Puppe öffnete – sie hatte eine abnehmbare Frontplatte – entdeckte ich eine tassenförmige, mit Filz bedeckte Form (den Lautsprecher) und einen Wachszylinder (ihn betrachtete ich als den »Plattenspieler« der Puppe). Alle Rätsel waren gelöst: Dies war eine Maschine, und ich wusste, wie sie funktioniert. Für Jonathan gibt es keine solche Auflösung. Die Programmierung des My Real Babys übersteigt seinen Horizont. Der Roboter als rätselhaftes Verhaltenssystem, mit dem Jonathan irgendwie zurechtkommen muss, genauso wie mit dem anderen rätselhaften Verhaltenssystem, dem Menschen.
Obwohl Jonathan anfänglich vor allem über die Programmierung des Roboters spricht, erwähnt er sie nach einigen Monaten überhaupt nicht mehr. Er sagt, ihm gefalle, wie das Roboterbaby auf seine Berührungen reagiert und sprechen »lernt«. Er erzählt von seinen Gefühlen. Das Verlangen des Roboters nach Fürsorge scheint er als real zu empfinden. Er möchte das Gefühl haben, gebraucht zu werden, und ist glücklich, sich um den Roboter zu kümmern, solange er ihn als etwas betrachten kann, das der Aufmerksamkeit eines Erwachsenen würdig ist. Jonathan spricht vom My Real Baby nie als Puppe, sondern immer als Roboter oder Computer. Jonathan sagt, mit einer »normalen Puppe« würde er sich niemals abgeben, aber das My Real Baby sei etwas anderes. Im Laufe der Zeit spricht Jonathan mit dem Roboter über sein Leben und seine
gegenwärtigen Probleme – vor allem über seine Einsamkeit. Er sagt, er würde mit dem Roboter »über alles« reden.
Genau genommen sagt Jonathan, dass er über einige Themen lieber mit einem Roboter rede als mit einem Menschen.
»Denn einige Dinge in meinem Leben sind sehr persönlich. Mit einem Computer zu sprechen würde mir mehr behagen … aber über Dinge, die nicht so persönlich sind, spreche ich lieber mit Menschen … Über etwas sehr Persönliches zu sprechen kann ziemlich peinlich sein, und ich hätte Angst, deswegen ausgelacht zu werden … und der Roboter würde mich nie kritisieren … Oder sagen wir, ich will Dampf ablassen … dem Computer kann ich Dinge sagen, die ich vor einer anderen Person nicht aussprechen könnte.«
Eines ist offenkundig: Mit seinem Roboter zu sprechen macht Jonathan nicht so nervös.
Andy und Jonathan haben unterschiedliche Ausgangssituationen. Nach einem Jahr ist das Roboterbaby beiden der beste Gefährte. Bei Andy steht der Roboter auf dem Fensterbrett, und er redet auch vor anderen mit ihm; Jonathan versteckt den Roboter im Schrank. Er möchte seine Gespräche in aller Privatheit führen.
Inwiefern unterscheiden sich diese Männer von Menschen, die mit ihren Haustieren sprechen? Obwohl wir mit unseren Haustieren sprechen und uns Sorgen machen, wenn sie krank werden, vergessen wir nicht, zu welcher Kategorie sie gehören. Es sind Tiere, die einige von uns gerne so behandeln wie Menschen. Wir teilen wichtige Gemeinsamkeiten mit ihnen. Haustiere haben einen Körper. Sie spüren Schmerz. Sie kennen Hunger und Durst. »Es gibt nichts«, sagt
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