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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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heutigestags durch die beiden Säulenhallen gelangte, die vor der Revolution begonnen und aus Mangel an Geld nicht fertiggestellt wurden. Die schöne Steingalerie, die zum Théatre Français führt, bildete damals eine enge Passage, die unverhältnismäßig hoch und so schlecht gedeckt war, daß es dort oft hineinregnete. Man nannte sie Glasgalerie, um sie von den Galeries de Bois, den Holzgalerien, zu unterscheiden. Die Dächer dieser Höhlen waren übrigens alle in so schlechtem Zustand, daß das Haus Orleans einen Prozeß mit einem berühmten Kaschmir- und Seidenstoffhändler hatte, dem Waren in hohem Wert in einer Nacht verdorben waren. Der Kaufmann gewann den Prozeß. An manchen Stellen diente ein geteertes Zelttuch als Dach. Der Boden der Glasgalerie, in der Chevet den Grund zu seinem Vermögen legte, und der der Holzgalerien war der natürliche Boden von Paris, vermehrt um den künstlichen Boden, den die Stiefel und Schuhe des Publikums hineinbrachten. Zu jeder Zeit stießen die Füße an Berge und Täler von hartgewordenem Straßenkot, den die Kaufleute unaufhörlich hinausfegten, und Fremde mußten sich erst daran gewöhnen, wenn sie dort gingen.
    Diese widerwärtige Anhäufung von Kotstücken, diese Fenster, die vom Regen und vom Staub eingeschmutzt waren, diese niedrigen, außen mit Lumpen bedeckten Hütten, der Schmutz des begonnenen Mauerwerks, dieses Ganze, das wie ein Zigeunerlager aussah, Jahrmarktsbuden, provisorische Gerüste, mit denen man in Paris die Denkmäler umgibt, die man nicht baut, dieses Zerrbild paßte ausgezeichnet zu den verschiedensten Geschäften, die in Massen unter diesem schamlosen, frechen Schirmdach betrieben wurden. Mitten unter dem ausgelassenen Treiben und der tollen Lustigkeit sind dort von der Revolution von 1789 an bis zur Revolution von 1830 die wichtigsten Dinge vor sich gegangen. Zwanzig Jahre lang war die Börse gegenüber im Parterre des Palais. So wurden dort die öffentliche Meinung und der Ruhm gemacht und zunichte gemacht, ebenso wie die politischen und die Geldgeschäfte. Man gab sich vor und nach der Börse in diesen Galerien ein Rendezvous. Das Paris der Bankiers und der Großkaufleute füllte oft den ganzen Hof des Palais Royal und strömte, wenn es regnete, unter dieses Obdach. Es lag in der Natur dieses Baues, der, man weiß nicht wie, an diesem Ort erwachsen war, daß er außerordentlich dröhnte. Es schallte nur so vom Gelächter. Wenn es am einen Ende einen Streit gab, wußte man am andern, um was es sich handelte. Es gab da nur Buchhändler, Poesie, Politik und Prosa, Modistinnen und schließlich Freudenmädchen, die nur abends kamen. Da blühten die Neuigkeiten und die Bücher, junger und alter Ruhm, die Verschwörungen der Tribüne und die Lügen der Verleger. Dort wurden dem Publikum, das sich darauf versteifte sie nur da zu erwerben, die Neuerscheinungen verkauft. Dort sind an einem einzigen Abend mehrere tausend Exemplare eines Pamphlets von Paul Louis Courier oder ›Das Abenteuer der Tochter eines Königs‹ verkauft worden, die der erste Schlag waren, den das Haus Orleans gegen die Charte Ludwigs XVIII. führte. Zu der Zeit, als Lucien dort zu sehen war, hatten einige Buden ziemlich elegante Schaufenster; aber diese Buden gehörten zu den Reihen, die auf den Garten oder den Hof gingen. Bis zu dem Tag, an dem diese seltsame Ansiedlung unter dem Hammer des Architekten Fontaine zertrümmert wurde, waren die zwischen den beiden Galerien gelegenen Buden ganz offen und wurden, wie die Jahrmarktsbuden in der Provinz, von Pfeilern gestützt; so konnte man über die Waren oder die Glastüren hinweg auf beide Galerien sehen. Da es unmöglich war, dort zu heizen, gebrauchten die Kaufleute nur Fußwärmer und hatten selbst eine Feuerwehr gebildet, denn eine Unvorsichtigkeit konnte in einer Viertelstunde diese Ansammlung von Brettern, die von der Sonne ausgetrocknet und mit Gaze, Musselin und Papier angefüllt war, in Flammen aufgehen lassen. Die Buden der Modistinnen steckten voller unglaublicher Hüte, die weniger zum Verkauf als zur Schaustellung da zu sein schienen, zu Hunderten auf Haubenstöcken hingen und die Galerien mit ihren tausend Farben beflaggten. Zwanzig Jahre hindurch haben sich alle Vorbeigehenden gefragt, auf welchen Köpfen diese eingestaubten Hüte ihre Laufbahn vollendeten. Putzmacherinnen, die im allgemeinen häßlich, aber keck waren, riefen die Frauen mit zudringlichen Worten nach der Gewohnheit und in der Sprache der Markthalle an.

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