Verlorene Illusionen (German Edition)
vierte glatt gescheitelt; ihre weißbestrumpften Beine, die sie bei jeder Gelegenheit, aber nie zur Unzeit zeigten: diese ganz verruchte Poesie ist verloren gegangen. Die Frechheit der Fragen und Antworten, dieser ganze öffentliche Zynismus, der zu dem Ort paßte, findet sich nicht mehr, weder auf dem Maskenball noch auf den berühmten Bällen, die heutzutage abgehalten werden. Es war schrecklich und lustig. Das leuchtende Fleisch der Schultern und des Halses schimmerte zwischen den fast immer dunklen Anzügen der Männer hervor und brachte die prächtigsten Gegensätze zustande. Das Durcheinander der Stimmen und das Geräusch der vielen Tritte klang schon in der Mitte des Gartens wie ein dumpfer Lärm, wie ein Baß, der die Begleitung abgab für das Lachen der Mädchen oder das Geschrei irgendeines Zwistes. Angesehene Personen, hervorragende Männer streiften dort an Menschen mit Galgengesichtern. Diese unglaublichen Zusammenkünfte übten selbst auf die kühlsten Naturen einen unwiderstehlichen Reiz aus. Und so ist denn auch ganz Paris bis zum letzten Augenblick hingegangen; es ist auf den Holzbrettern auf und ab spaziert, die der Architekt, solange er die Keller baute, darüber gelegt hatte. Der Untergang dieser abscheulichen hölzernen Anlage ist überaus und einmütig beklagt worden.
Der Buchhändler Ladvocat hatte sich seit einigen Tagen in dem Winkel der Passage, der diese Galerien in der Mitte teilte, vor Dauriat niedergelassen, diesem heute vergessenen kühnen jungen Mann, der den Weg urbar machte, auf dem seitdem sein Konkurrent zu großem Vermögen gekommen ist. Die Bude Dauriats befand sich in einer der Reihen, die auf den Garten gingen, und die Ladvocats ging auf den Hof. Die Bude Dauriats war in zwei Teile geteilt, deren einer sein Buchhandelslager, während der andere sein Kontor war. Lucien, der zum erstenmal zur Abendzeit hinkam, war über den Anblick erstaunt, dem die provinzialen und die jungen Leute nicht widerstehen konnten. Er verlor bald seinen Führer.
»Wenn du so schön wärst wie der junge Mann, dürftest du mich lieben«, sagte ein Mädchen zu einem alten Mann und deutete dabei auf Lucien.
Lucien wurde rot wie ein junges Mädchen und folgte dem Strom in einem Zustand von Starrheit und Aufregung, der schwer zu beschreiben wäre. Die Blicke der Weiber forderten ihn heraus, die weiße Rundung der Schultern, die verlockenden Halsausschnitte blendeten ihn, er klammerte sich an sein Manuskript und drückte es an sich, damit es ihm nicht gestohlen würde – der Unschuldige!
»Mein Herr!« rief er, als er einen Arm nach seinem greifen fühlte und glaubte, irgendein Schriftsteller hätte ihm seine Gedichte stehlen wollen.
Er erkannte seinen Freund Lousteau, der zu ihm sagte: »Ich dachte mir wohl, daß Sie hier vorbeikommen müßten.«
Der Dichter stand an der Ladentür, und Lousteau führte ihn in den Laden, der voller Menschen war, die den Pascha der Buchhandlung sprechen wollten. Drucker, Papierlieferanten und Zeichner standen um Gehilfen herum und befragten sie über die Geschäfte, die sie interessierten, oder standen in Gedanken.
»Halt, da ist Finot, der Chef meines Blattes; er plaudert mit einem talentvollen jungen Mann, Félicien Vernou, einem kleinen Schlingel, der so gefährlich ist wie eine geheime Krankheit.«
»Nun,« sagte Finot, der mit Vernou auf Lousteau zutrat, »du hast eine Premiere. Ich habe über die Loge verfügt.«
»Du hast sie Braulard verkauft?«
»Was machts? Du bekommst schon einen Platz. Was willst du von Dauriat? Ach, daß ichs nicht vergesse! Es ist abgemacht, daß wir Paul de Kock stark loben, Dauriat hat zweihundert Exemplare genommen, und Victor Ducange lehnt ab, einen Roman für ihn zu schreiben. Dauriat sagt, er will einen neuen Autor im selben Genre kreieren. Du wirst Paul de Kock über Ducange stellen.«
»Aber ich habe mit Ducange zusammen ein Stück an der Gaieté«, sagte Lousteau.
»Was machts? Du sagst ihm, der Artikel sei von mir, und er sei ganz wild gewesen, du aber hättest ihn gemildert, dann ist er dir Dank schuldig.«
»Könntest du mir nicht diesen kleinen Wechsel über hundert Franken von Dauriats Kassierer diskontieren lassen?« fragte Etienne Finot. »Du weißt, wir soupieren zusammen zur Einweihung der neuen Wohnung Florines.«
»Richtig, ja, du hältst uns frei«, sagte Finot und machte ein Gesicht, als ob er sich erst besinnen müßte. »Ach, Gabusson,« sagte er, nahm Barbets Wechsel und überreichte ihn dem Kassierer,
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