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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Hunde haben, die ihn in die Waden beißen? Mit Lousteau sind Sie tödlich verfeindet, er verlangt Ihren Kopf. Vernou und Sie sprechen nicht mehr zusammen. Ich allein bin Ihnen geblieben! Es ist einer der Grundsätze meines Berufs, mit wahrhaft starken Männern in gutem Einvernehmen zu sein. Sie können mir in der vornehmen Welt, in die Sie gehen, die Dienste vergelten, die ich Ihnen in der Presse erweise. Aber das Geschäft kommt vor allem! Schicken Sie mir rein literarische Artikel, die werden Sie nicht kompromittieren; und Sie müssen Ihren Verpflichtungen nachkommen.«
    Lucien sah in diesen Worten Finots, dessen schmeichelhafte Reden ebenso wie die von des Lupeaulx ihn in gute Stimmung versetzt hatten, nur ein Gemisch aus Freundschaft und kluger Berechnung: er dankte Finot!
    Im Leben der Ehrgeizigen und aller derer, die nur mit Hilfe der Menschen und der Dinge durch einen mehr oder weniger gut berechneten, befolgten und aufrechterhaltenen Plan ans Ziel gelangen können, kommt immer ein grausamer Augenblick, wo irgendeine Macht ihnen schwere Prüfungen auferlegt: alles schlägt mit einemmal fehl, auf allen Seiten reißen die Fäden oder verwirren sich, es geht überall unglücklich. Wenn einer in diesem moralischen Zusammenbruch den Kopf verliert, ist er verloren. Die Männer, die dieser ersten Auflehnung der Umstände Widerstand zu leisten verstehen, die dem Unwetter trotzen und es vorüberziehen lassen, die sich retten und sich mit gewaltiger Anstrengung in die oberen Sphären hinaufschwingen, sind die wahrhaft starken Männer. So hat jeder, wenn er nicht reich geboren ist, was man seine Schicksalswoche nennen muß. Für Napoleon war diese Woche der Rückzug von Moskau. Jetzt war der Augenblick für Lucien gekommen. Alles war in der großen Welt wie in der Literatur zu glücklich aufeinander gefolgt; er war zu glücklich gewesen, er mußte sehen, wie die Menschen und die Dinge sich gegen ihn wandten. Der erste Schmerz war der lebhafteste und grausamste von allen, er traf ihn da, wo er sich unverwundbar geglaubt hatte, in seinem Herzen und seiner Liebe. Coralie besaß keinen Geist, aber sie hatte eine schöne Seele und besaß die Gabe, sie mit der Kunst der Verkörperung, die die große Schauspielerin ausmacht, nach außen zu bringen. Diese seltsame Erscheinung ist, solange sie nicht durch lange Übung zu einer Art Gewohnheit geworden ist, den Launen der Natur und oft einer wunderschönen Scham unterworfen, die bei den Schauspielerinnen, solange sie noch jung sind, oft angetroffen wird. Coralie, die innerlich unschuldig und schüchtern, nach außen keck und leichtfertig war, wie es eine Schauspielerin sein muß, erlebte jetzt, wo die Liebe dazukam, einen Rückschlag ihres Frauenherzens auf ihre Komödiantenmaske. Die Kunst, die Gefühle wiederzugeben, diese himmlische Falschheit und Verstellungskunst, hatte in ihr noch nicht über die Natur gesiegt. Sie schämte sich, dem Publikum zu geben, was nur der Liebe gehörte. Dann hatte sie eine Schwäche, die bei innerlich wahrhaften Frauen natürlich ist. Obwohl sie wußte, daß sie dazu berufen war, souverän auf der Bühne zu herrschen, hatte sie das Bedürfnis nach Erfolg. Sie war unfähig, einer Zuschauermenge zu trotzen, die ihr nicht willig folgte; sie zitterte immer, wenn sie die Bühne betrat, und dann konnte die Kälte des Publikums sie wie zu Stein erstarren. Dieses schreckliche Gefühl bewirkte es, daß für sie jede neue Rolle ein neues Debüt war. Der Beifall versetzte sie in eine Art Rausch, den ihre Eigenliebe nicht brauchte, der aber ihrem Mut unentbehrlich war, ein Murren der Unzufriedenheit oder das Schweigen eines kalten Publikums beraubte sie ihrer Mittel; ein voller, aufmerksamer Zuschauerraum, bewundernde, wohlwollende Blicke elektrisierten sie; sie stand dann in Verbindung mit den edeln Eigenschaften all dieser Herzen und fühlte die Macht in sich, sie zu erheben, sie zu bewegen. Diese doppelte Wirkung zeugte von der Kraft ihrer Natur und ihrer genialen Anlage, verriet aber zugleich, wie zart und gebrechlich das arme Kind war. Lucien hatte schließlich die Schätze, die dieses Herz barg, erkannt, er hatte gemerkt, wie sehr seine Geliebte noch ein junges Mädchen war. Coralie war nicht tauglich zu den Falschheiten des Schauspielerdaseins und konnte sich gegen die Ränke und Kulissenmanöver, deren sich Florine bediente, nicht schützen. Diese war ein ebenso gefährliches und verderbtes Mädchen, wie ihre Freundin schlicht und edelmütig war. Die

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