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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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gekommen!« Er war nicht imstande, seinen Sohn zu verstehen, er verurteilte ihn und fühlte eine Art Überlegenheit über diesen hohen Geist, indem er sich sagte: »Von mir bekommt er einmal sein Brot.«
    Niemals werden die Moralisten den ganzen Einfluß, den die Gefühle auf die Interessen haben, klarlegen können. Dieser Einfluß ist ebenso mächtig, wie der der Interessen auf die Gefühle. Alle Naturgesetze haben eine doppelte Wirkung in zwei entgegengesetzten Richtungen. David seinerseits verstand seinen Vater und war mild genug, ihn zu entschuldigen.
    Kolb und David langten um acht Uhr in Marsac an und überraschten den Alten beim Abschluß seiner Mahlzeit, die er heute notgedrungen kurz vor dem Schlafengehen einnehmen mußte.
    »Dich schickt die Justiz zu mir«, sagte der Vater mit bitterem Lächeln zu seinem Sohne.
    »Wie können Sie dem Herrn und dem Sohn so begegnen? Er reist im Himmel, und Sie sind immer benebelt!« rief Kolb entrüstet. »Zahlen Sie, zahlen Sie! Das ist Ihr Beruf als Vater.«
    »Schon gut, Kolb, geh, bring das Pferd zu Frau Courtois, wir wollen meinem Vater nicht lästig damit fallen, und merk dir, daß die Väter immer recht haben.«
    Kolb ging, er brummte, wie ein Hund, den der Herr wegen seiner Wachsamkeit gescholten hat, noch im Gehorchen protestiert. David schlug jetzt seinem Vater vor, ohne sein Geheimnis zu verraten, er wolle ihm den sichersten Beweis von seiner Entdeckung geben und wolle ihn an diesem Geschäft für die Höhe der Summen, die er brauchte – sowohl um sofort frei zu werden, wie auch um sein Geheimnis auszubeuten – beteiligen.
    »So? Und wie willst du mir beweisen, daß du aus Nichts schönes Papier machen kannst, das nichts kostet?« fragte der alte Buchdrucker und warf seinem Sohn einen Blick zu, aus dem zu merken war, daß er nicht mehr ganz nüchtern war, und der trotzdem Schlauheit und Gier verriet. Es nahm sich aus, wie wenn ein Blitz aus einer vollen Regenwolke schießt, denn der alte Bär ging nie schlafen, ohne sich zur Nacht einen Haarbeutel anzuknüpfen. Der bestand aus zwei Flaschen trefflichen alten Weines, die er, nach seinem Ausdruck, schlürfte.
    »Nichts einfacher als das«, erwiderte David. »Ich habe kein Papier bei mir. Ich bin auf der Flucht vor Doublon auf den Weg hierher gekommen, und als ich sah, daß ich auf dem Wege nach Marsac sei, dachte ich, ich könnte ebensogut mit dir verhandeln wie mit einem Wucherer. Ich habe nichts auf dem Leib als meine Kleider. Bring mich in einen wohlverschlossenen Raum, in den niemand Zugang hat, in dem mich niemand sehen kann, und...«
    »Wie!« sagte der Alte und warf seinem Sohn einen schrecklichen Blick zu, »du willst mich nicht sehen lassen, was du machst?«
    »Lieber Vater,« antwortete David, »du hast mir gezeigt, daß es in Geschäften keinen Vater gibt.«
    »Ah, du mißtraust dem, der dir das Leben geschenkt hat!«
    »Nein, nur dem, der mir die Mittel zum Leben genommen hat.«
    »Jeder für sich, du hast recht!« sagte der Alte. »Schön, ich werde dich in meine Vorratskammer bringen.«
    »Ich gehe mit Kolb hinein; du schaffst mir einen Kessel, in dem ich meinen Brei koche,« versetzte David, ohne auf den Blick zu achten, den ihm sein Vater zuwarf; »dann bringst du mir Artischockenstengel, Spargelkraut, Brennesseln und Schilfrohr, das du am Ufer eures Baches abschneidest. Morgen früh komme ich aus deiner Vorratskammer, und da sollst du ein prächtiges Papier sehen.«
    »Wenn das möglich ist...« rief der Alte zwischen etlichen Rülpsern, »gebe ich dir vielleicht ... will ich sehen, ob ich dir geben kann ... Ja, dann gebe ich dir wahrscheinlich fünfundzwanzigtausend Franken – unter der Bedingung, daß ich jedes Jahr so viel daran verdiene.«
    »Stelle mich auf die Probe, ich willige ein«, rief David. »Kolb, steig aufs Pferd, sprenge nach Mansle, kauf dort bei einem Schäffler ein großes Haarsieb und bei einem Spezereihändler Leim, und komm schleunigst zurück.«
    »Da trink!« sagte der Vater und stellte vor seinen Sohn eine Flasche Wein, Brot und einen Teller mit kaltem Fleisch hin, der noch auf dem Tische stand. »Sammle Kräfte, ich gehe und hole dir die grünen Lumpen, die du brauchst; denn grün sind sie, deine Lumpen! Ich fürchte sogar, sie sind ein bißchen zu grün.«
    Zwei Stunden später, gegen elf Uhr nachts, schloß der Alte seinen Sohn und Kolb in einen kleinen Raum ein, der an seine Vorratskammer angebaut und mit Hohlziegeln bedeckt war. Es befanden sich darin die

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