Verlorene Illusionen (German Edition)
Schätzung verkauft hast; ich habe immer den Vater in dir gesehen. Ich habe mir gesagt: mag der alte Mann, der sich viel geplagt hat, der mich sicher auf einen höheren Platz gehoben hat, als es meiner Herkunft entsprach, in Frieden und auf seine Weise die Frucht seiner Arbeit genießen. Ich habe dir sogar das eingebrachte Gut meiner Mutter gelassen und habe mich, ohne zu murren, in das mit Schulden belastete Leben gefügt, das du mir bereitet hast. Ich habe mir vorgenommen, ein schönes Vermögen zu verdienen, ohne dich zu belästigen. Dieses Geheimnis nun habe ich inmitten des größten Elends gefunden. Ich hatte kaum Brot im Hause und wurde wegen Schulden verfolgt, die nicht meine sind... Ja, ich habe gekämpft und bin nicht müde geworden, bis meine Kräfte erschöpft waren. Vielleicht bist du mir Hilfe schuldig!... Aber denk nicht an mich, denk an die Frau und das kleine Kind...« (hier konnte David seine Tränen nicht zurückhalten) »und gewähre ihnen Beistand und Schutz. Solltest du tiefer als Marion und Kolb stehen, die mir ihre Ersparnisse gegeben haben?« rief der Sohn, als er seinen Vater kalt wie eine marmorne Preßplatte sah.
»Und das hat dir nicht genügt?« rief der Alte, ohne die geringste Scham zu verspüren. »Aber du könntest ja ganz Frankreich aufzehren! Gute Nacht! Ich für mein Teil bin zu dumm, mich in die Ausbeutung eines Unternehmens einzulassen, wo nur ich der Ausgebeutete wäre. Der Affe soll den Bären nicht auffressen«, sagte er und spielte dabei auf ihre Gehilfenspitznamen an. »Ich bin Winzer, ich bin kein Bankier. Und dann, weißt du, Geschäfte zwischen Vater und Sohn, das tut nicht gut. Wir wollen essen; siehst du, du sollst nicht sagen, daß ich dir nichts gebe!«
David war einer der Menschen mit tiefem Herzen, die ihre Leiden so verbergen können, daß sie denen, die sie liebhaben, nicht sichtbar werden. Wenn daher bei ihnen der Schmerz überströmt, ist der höchste Punkt ihrer Qual erreicht. Eva verstand diesen schönen, männlichen Charakter. Aber der Vater sah in diesem Schmerz, der jetzt aus der Tiefe an die Oberfläche stürzte, den gewöhnlichen Jammer der Kinder, die ihren Vater herumbekommen wollen, und er nahm die außerordentliche Niedergeschlagenheit seines Sohnes für das Schamgefühl über den Mißerfolg. Vater und Sohn trennten sich in Unfrieden.
David und Kolb kamen ungefähr um Mitternacht nach Angoulême, und sie gingen zu Fuß und so vorsichtig durch die Stadt, als wären sie Diebe auf einem Raubzug. Um ein Uhr morgens betrat David die Wohnung von Fräulein Basine Clerget, ohne daß ihn jemand bemerken konnte, und wurde in dem unzugänglichen Asyl untergebracht, das seine Frau für ihn bereitet hatte. Dort sollte David nun von dem erfinderischsten Mitgefühl, das es gibt, von dem einer Wäscherin, bewacht werden. Am nächsten Morgen rühmte sich Kolb, er habe seinen Herrn zu Pferde gerettet und habe ihn erst verlassen, nachdem er ihn auf ein Schiff gebracht hätte, das ihn in die Nähe von Limoges fahren sollte. Eine genügende Menge Rohmaterialien waren bei Basine untergebracht, so daß Kolb, Marion, Frau Séchard und ihre Mutter keinerlei Beziehung mit Fräulein Clerget zu haben brauchten.
Zwei Tage nach dem Auftritt mit seinem Sohne kam der alte Séchard, der noch zwanzig Tage Zeit hatte, bevor er mit der Weinlese beginnen mußte, zu seiner Schwiegertochter. Es war die Habgier, die ihn herführte. Er schlief nicht mehr, er wollte wissen, ob die Entdeckung Aussicht auf Vermögen gäbe, und wollte, wie er sich ausdrückte, sehen, dabei seinen Schnitt zu machen. Er bezog über der Wohnung seiner Schwiegertochter eine der beiden Dachkammern, die er sich vorbehalten hatte, und tat so, als ob er von der Geldnot im Haushalte seines Sohnes nichts bemerkte. Man schuldete ihm die Mieten, man konnte ihm wohl zu essen geben! Er stieß sich nicht daran, daß die Bestecke von verzinntem Eisen waren.
»Ich habe auch so angefangen«, erwiderte er seiner Schwiegertochter, als sie sich entschuldigte, daß sie ihm keine silbernen Bestecke gab.
Marion mußte sich bei den Kaufleuten für alles verbürgen, was im Hausstande verbraucht wurde. Kolb war Handlanger bei Maurerarbeiten und verdiente täglich zwanzig Sous. Die arme Eva, die im Interesse ihres Kindes und Davids ihr Letztes hergab, um den Winzer gut zu bewirten, hatte bald nur noch zehn Franken. Sie hoffte immer, ihre Schmeicheleien und ihre respektvolle Freundlichkeit oder wenigstens ihr entsagungsvolles Leben
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