Verlorene Illusionen (German Edition)
betäubenden Lärm eines Postpackwagens gehört hatte, der vor der Tür angefahren war.
»Frau! Frau! Fünfzehntausend Franken!« rief er. »In wirklichem Silber hat sie Herr Lucien aus Poitiers geschickt.«
»Fünfzehntausend Franken!« rief Eva und hob die Arme hoch.
»Ja, Frau Séchard,« sagte der Packmeister, der jetzt eintrat, »fünfzehntausend Franken, die mit der Eilpost nach Bordeaux gekommen sind, die wahrhaftig daran zu schleppen hatte! Ich habe zwei Leute unten, die die Säcke heraufbringen. Die Sendung ist aufgegeben von Herrn Lucien Chardon von Rubempré. Ich bringe Ihnen ein Ledersäckchen, in dem für Sie fünfhundert Franken in Gold sind und wahrscheinlich ein Brief.«
Eva glaubte zu träumen, als sie den folgenden Brief las:
»Liebe Schwester!
Hier erhältst Du fünfzehntausend Franken. Anstatt mich zu töten, habe ich mein Leben verkauft. Ich gehöre mir nicht mehr; ich bin nicht der Sekretär eines spanischen Diplomaten: ich bin seine Kreatur.
Ich gehe einem schrecklichen Leben entgegen. Vielleicht wäre es besser gewesen, mich ins Wasser zu stürzen. Lebt wohl! David wird alles bezahlen und frei werden, und mit viertausend Franken kann er ohne Zweifel eine kleine Papiermühle kaufen und zu Vermögen kommen. Denkt nicht mehr, ich will es, an
Euren armen Bruder
Lucien.«
»Es ist schon so,« rief Frau Chardon, die eben dazukam, wie die Säcke abgeladen wurden, »daß mein armer Sohn immer Unglück bringt, wie er es schrieb, selbst wenn er Gutes tut.«
»Wir sind noch gut davongekommen«, rief der große Cointet, als er auf der Place du Mûrier war. »Eine Stunde später hätte der Glanz dieses Silbers diesen Vertrag beleuchtet, und unser Mann hätte es sich überlegt. In drei Monaten wissen wir, wie er uns versprochen hat, woran wir uns zu halten haben.«
Abends um sieben Uhr kaufte Cérizet die Druckerei und bezahlte sie, wobei er die Miete des letzten Vierteljahrs zu zahlen übernahm. Am nächsten Tage brachte Eva dem Obereinnehmer vierzigtausend Franken, um im Namen ihres Mannes zweitausendfünfhundert Franken Rente zu kaufen. Dann schrieb sie ihrem Schwiegervater, er sollte ihr in Marsac ein kleines Anwesen von zehntausend Franken suchen, worin sie ihr persönliches Vermögen anlegen wollte.
Der Plan des großen Cointet war erschreckend einfach. Zunächst hielt er das Leimen in der Bütte für unmöglich. Die Vermengung billiger pflanzlicher Stoffe mit dem Lumpenbrei schien ihm das wahre, das einzige Mittel zu sein, zu Vermögen zu kommen. Er nahm sich daher vor, die Billigkeit des Zeuges gar nicht zu betonen und außerordentlich viel Wert auf das Leimen in der Bütte zu legen. Das hing so zusammen. Die Papierfabrikation in Angoulême beschäftigte sich damals fast ausschließlich mit Schreibpapieren, die den Namen Schildpapier, Hennenpapier (das war ein Papier mit Goldrand, das besonders für Liebesbriefe beliebt war), Schülerpapier, Muschelpapier führten, und diese mußten natürlich alle geleimt sein. Diese Papiere waren lange Zeit der Ruhm der Angoulêmer Papierindustrie. So gab die Spezialität, die seit langen Jahren das Monopol der Fabrikanten von Angoulême war, den Ansprüchen der Cointet gewonnenes Spiel; dieses geleimte Papier brachte er aber, wie man sehen wird, bei seiner Spekulation gar nicht in Anschlag. Der Bedarf an Schreibpapieren ist überaus begrenzt, während der an nichtgeleimten Druckpapieren fast schrankenlos ist. Auf der Reise, die der große Cointet nach Paris machte, um dort das Patent auf seinen Namen zu nehmen, bereitete er Geschäftsabschlüsse vor, die in seiner Fabrikationsweise große Veränderungen hervorbringen mußten. Er wohnte bei Métivier und gab ihm Anweisungen, die dazu führen mußten, binnen einem Jahre den Papierhändlern, die bisher die Zeitungen mit Papier versorgten, die Lieferung abzunehmen, indem er den Preis für das Ries so billig stellte, daß keine Fabrik konkurrieren konnte, und dabei allen Zeitungen eine weiße Färbung und sonstige Eigenschaften versprach, die allen bisher verwendeten Sorten überlegen waren. Da die Verträge der Zeitungen alle für eine bestimmte Frist lauten, bedurfte es einer gewissen Zeit, in der die Administrationen unterirdisch bearbeitet wurden, um dieses Monopol wirklich durchzuführen; aber Cointet rechnete darauf, daß er Zeit hatte, Séchard abzuschütteln, während Métivier die Verträge mit den wichtigsten Pariser Zeitungen abschloß, deren Bedarf damals zweihundert Ries täglich betrug.
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