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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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gemütlicher über literarische Dinge miteinander plaudern können als hier; ich will versuchen, einige von den Literaturtyrannen und Berühmtheiten aufzutreiben, den Verfasser von ›Ourika‹ und einige wohlmeinende junge Dichter.«
    »Frau Marquise,« sagte von Marsay, »wenn Sie den Herrn wegen seines Geistes unter Ihre Obhut nehmen, so will ich mich wegen seiner Schönheit seiner annehmen; ich werde ihm Ratschläge geben, die den glücklichsten Dandy von Paris aus ihm machen. Nachher kann er dichten, soviel er will.«
    Frau von Bargeton dankte ihrer Cousine mit einem Blick, in dem tiefe Erkenntlichkeit lag.
    »Ich wußte nicht, daß Sie gegen Männer von Geist so übelwollend sind,« sagte Montriveau zu Marsay; »das Glück tötet die Dichter.«
    »Das ist wohl der Grund, warum Sie sich verheiraten wollen?« sagte der Dandy und wandte sich an Canalis, um zu sehen, ob Madame d'Espard von diesem Wort getroffen würde.
    Canalis zuckte die Achseln, und Madame d'Espard, die Nichte der Frau von Chaulieu, lachte.
    Lucien, der sich in seinen Kleidern wie eine ägyptische Statue in ihrer Hülle vorkam, schämte sich, daß er gar nichts antwortete. Endlich sagte er mit seiner zarten Stimme zur Marquise: »Ihre Güte verurteilt mich dazu, nur Erfolge zu haben.«
    In diesem Augenblick trat Châtelet ein, der die Gelegenheit, sich von Montriveau, einem der mächtigsten Männer in der Pariser Gesellschaft, gewaltsam der Marquise vorstellen zu lassen, beim Schopfe nahm. Er begrüßte Frau von Bargeton und bat Madame d'Espard, ihm zu verzeihen, daß er so geradezu in ihre Loge eindränge, er hätte seinen Reisegefährten schon so lange nicht mehr gesehen. Montriveau und er sähen sich zum erstenmal wieder, seit sie sich mitten in der Wüste voneinander getrennt hätten.
    »Sich in der Wüste zu trennen und in der Oper wiederzufinden«, sagte Lucien.
    »Eine wahrhaft theatralische Erkennungsszene«, sagte Canalis.
    Montriveau stellte den Baron du Châtelet der Marquise vor, und diese nahm den frühern Privatsekretär der Kaiserlichen Hoheit sehr freundlich auf, da sie ihn schon in drei Logen verkehren gesehen hatte, da Frau von Sérizy nur Leute von einiger Bedeutung um sich duldete, und da er schließlich der Reisegefährte Montriveaus war. Diese letzte Auszeichnung war von so großem Wert, daß Frau von Bargeton an dem Ton, den Blicken und dem ganzen Verhalten der vier großen Männer merkte, daß sie Châtelet unbestritten als einen ihresgleichen anerkannten. Das paschahafte Benehmen Châtelets in der Provinz war Naïs mit einem Male erklärt. Endlich bemerkte Châtelet auch Lucien und ließ ihm einen kurzen, trocknen und kalten Gruß zukommen, einen Gruß, durch den ein Mann den andern in Mißkredit bringt und den Leuten von Welt die untergeordnete Rolle verrät, die der andere in der Gesellschaft einnimmt. Er machte bei diesem Gruß eine hämische Miene, die zu sagen schien: »Wie kommt denn der hierher?« Châtelet wurde gut verstanden, denn Herr von Marsay beugte sich zu Montriveau und flüsterte ihm, so daß es der Baron hören mußte, ins Ohr: »Fragen Sie ihn doch, wer dieser kuriose Jüngling ist, der wie eine Gliederpuppe im Schaufenster eines Schneiders aussieht.«
    Châtelet flüsterte ein paar Augenblicke mit seinem Reisegefährten; es konnte aussehen, als tauschten sie alte Erinnerungen aus, aber ohne Zweifel schlug er mit seinen Worten seinen Nebenbuhler zu Boden. Lucien war von dem schlagfertigen Witz, von der Feinheit, die diese Männer in ihre Antworten legten, überrascht; er war wie benommen von dem, was man bon mot nennt, und ganz besonders von der Zwanglosigkeit der Rede und der Gefälligkeit der Manieren. Er fand die verschwenderische Art und den Luxus an den Dingen, der ihn erschreckt hatte, jetzt in den Ideen wieder. Er fragte sich, durch welches Geheimnis diese Menschen ohne Besinnen treffende Antworten fänden, die ihm nur nach langem Nachdenken eingefallen wären. Und dann besaßen diese fünf Weltmänner dieses gefällige Wesen nicht nur in ihren Worten, sondern ebenso in ihrer Kleidung: sie hatten nichts Neues und nichts Altes am Leibe. Es war nichts Auffallendes an ihnen, und doch zog alles den Blick an. Ihr Luxus von heute war der von gestern und würde morgen der nämliche sein. Lucien kam dahinter, daß er wie ein Mann aussah, der sich zum erstenmal im Leben angezogen hat.
    »Mein Lieber,« sagte Marsay zu Felix von Vandenesse, »dieser kleine Rastignac steigt wie ein Drachen in die Höhe! Da

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