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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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beizulegen; wenn sie unter ihrem Stand geheiratet hat, wäre es eine ganz ungewöhnliche Gunst, und um sie zu erlangen, braucht man ein kolossales Vermögen, muß man Dienste geleistet haben und braucht sehr hohe Protektion. Dies Äußere eines Krämers im Sonntagsstaat beweist, daß der junge Mann weder reich noch von Adel ist; sein Gesicht ist hübsch, aber er scheint mir sehr dumm; kurz, er ist nicht gebildet. Wie kommt es, daß Sie ihn protegieren?«
    Frau von Bargeton, die Lucien verleugnete, wie Lucien sie im stillen bei sich verleugnet hatte, bekam schreckliche Angst, ihre Cousine könnte die Wahrheit über ihre gemeinsame Reise erfahren.
    »Liebe Cousine, es tut mir furchtbar leid, daß ich Sie kompromittiert habe.«
    »Man kompromittiert mich nicht,« sagte Frau d'Espard lächelnd; »ich denke nur an Sie.«
    »Aber Sie haben ihn auf Montag zum Diner geladen.«
    »Ich werde krank sein«, erwiderte die Marquise lebhaft. »Sie werden ihm das mitteilen, und ich werde meinem Portier seine beiden Namen nennen und die nötigen Anweisungen geben.«
    Lucien bemerkte, daß im Zwischenakt alle in das Foyer gingen, und kam auf den Einfall, ebenfalls dort auf und ab zu gehen. Zunächst grüßte ihn niemand von den Herren, die in Madame d'Espards Loge gekommen waren, und keiner beachtete ihn, was unserm Dichter aus der Provinz sehr sonderbar vorkam. Dann sah ihn Châtelet, an den er sich klammern wollte, nur von der Seite an und schnitt ihn fortwährend. Er mußte sich, als er die Männer sah, die im Foyer hin und her wandelten, eingestehen, daß seine Kleidung recht lächerlich war, und setzte sich wieder in die Ecke seiner Loge. Dort war er bis zum Ende der Vorstellung fortwährend durch das prächtige Schauspiel des Balletts im fünften Akt, das durch seine Hölle so berühmt ist, dann durch den glänzenden Zuschauerraum, in dem sein Blick von Loge zu Loge schweifte, und schließlich durch seine eigenen Gedanken in Anspruch genommen, die angesichts der Pariser Gesellschaft recht eindringliche waren.
    »Das ist also mein Reich,« sagte er sich, »das ist die Welt, die ich erobern soll!«
    Er ging zu Fuß nach Hause und dachte an alles, was die großen Männer, die bei Madame d'Espard zur Aufwartung vorsprachen, gesagt hatten; ihr Benehmen, ihre Handbewegungen, die Art, zu kommen und zu gehen, alles kehrte mit erstaunlicher Treue in sein Gedächtnis zurück. Am nächsten Tag gegen Mittag war es sein erstes Geschäft, zu Staub zu gehen, der damals der berühmteste Schneider war. Mit Geld und guten Worten setzte er es durch, daß sein Anzug für den bedeutungsvollen Montag fertig werden sollte. Staub verstieg sich so weit, ihm für diesen entscheidenden Tag einen köstlichen Rock, eine Weste und eine Hose zu versprechen. Lucien bestellte sich bei einer Wäschenäherin Hemden, Taschentücher, eine ganze kleine Aussteuer, und ließ sich bei einem berühmten Schuhmacher das Maß für Schuhe und Stiefel nehmen. Er kaufte bei Verdier einen hübschen Stock, Handschuhe und Hemdknöpfe bei Madame Irlande, kurz, er versuchte, sich auf die Höhe der Dandys zu bringen. Als er alle seine Wünsche erfüllt hatte, begab er sich nach der Rue Neuve-de-Luxembourg und erfuhr, daß Louise ausgegangen war.
    »Sie speist bei der Frau Marquise d'Espard und wird spät nach Hause kommen«, teilte ihm Albertine mit.
    Lucien aß in einem Restaurant des Palais Royal für vierzig Sous zu Abend und legte sich frühzeitig zu Bett. Am Sonntag ging er schon um elf Uhr zu Louise; sie war noch nicht aufgestanden. Um zwei Uhr kam er wieder.
    »Madame empfängt noch nicht,« sagte Albertine zu ihm, »aber sie hat mir ein Briefchen für Sie gegeben.«
    »Sie empfängt noch nicht?« wiederholte Lucien. »Aber ich bin nicht der oder jener ...«
    »Ich weiß nicht«, sagte Albertine und machte ein recht freches Gesicht.
    Lucien, der weniger über die Antwort Albertinens erstaunt war, als daß er von Frau von Bargeton einen Brief bekam, nahm das Billett und las auf der Straße die folgenden trostlosen Zellen:
    »Madame d'Espard ist nicht wohl; sie kann Sie am Montag nicht empfangen; mir geht es auch nicht gut, aber ich will mich doch ankleiden und ihr Gesellschaft leisten. Ich bedaure diese kleine Widerwärtigkeit sehr; aber Ihr Talent beruhigt mich, und Sie werden sich ohne Schwindelkünste durchsetzen.«
    »Und keine Unterschrift«, sagte sich Lucien, der in den Tuilerien angelangt war, ohne daß es ihm zum Bewußtsein gekommen wäre, daß er weitergegangen

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