Verlorene Illusionen (German Edition)
ruhig. Herr von Marsay kam im Zwischenakt wieder in die Loge und brachte Herrn von Listomère mit. Der ernste Mann und der junge Geck hatten der stolzen Marquise bald mitgeteilt, daß der Hochzeitskellner im Sonntagsstaat, der leider Zutritt in ihre Loge gefunden hätte, ebensowenig den Namen Herr von Rubempré zu führen berechtigt wäre, wie ein Jude einen Taufnamen hätte. Lucien wäre der Sohn eines Apothekers namens Chardon. Herr von Rastignac, der über die Vorgänge in Angoulême gut auf dem laufenden war, hatte schon zwei Logen auf Kosten dieser Mumie, die die Marquise ihre Cousine nannte, zum Lachen gebracht. Er meinte, es wäre sehr vorsichtig von dieser Dame, daß sie immer einen Apotheker mit sich führte, der jedenfalls durch allerlei Spezereien ihr künstliches Leben erhalten sollte. Kurz, Herr von Marsay erzählte einige der tausend Späße, die die Pariser in einem Augenblick machen und die ebenso schnell vergessen wie gesagt sind, aber hinter denen diesmal Châtelet, der Maschinist dieser karthagischen List, steckte.
»Meine Liebe,« sagte Madame d'Espard hinter ihrem Fächer zu Frau von Bargeton, »bitte, sagen Sie mir, ob Ihr Schützling wirklich Herr von Rubempré heißt!«
»Er hat den Namen seiner Mutter angenommen«, sagte Anaïs verlegen. »Aber wie ist der Name seines Vaters?«
»Chardon.«
»Und was war dieser Chardon?«
»Apotheker.«
»Ich wußte es ja, liebe Freundin, daß sich ganz Paris nicht über eine Frau lustig machen konnte, die ich unter meinen Schutz nehme. Ich habe keine Lust, mich der Annehmlichkeit auszusetzen, daß Spaßvögel hierher in meine Loge kommen, die darüber entzückt sind, mich mit dem Sohn eines Apothekers zusammen zu sehen; wenn Sie mir das glauben, gehen wir zusammen weg, und zwar auf der Stelle.«
Madame d'Espard nahm eine recht verächtliche Miene an, ohne daß Lucien eine Ahnung hatte, womit er diese Änderung in ihrem Ausdruck verschuldet hätte. Er dachte, seine Weste wäre geschmacklos, was stimmte; sein Rock hätte einen verrückten Schnitt, was ebenfalls stimmte. Mit geheimer Bitterkeit sah er ein, daß er sich von einem geschickten Schneider noch einmal einkleiden lassen müsse, und nahm sich vor, morgen zum berühmtesten Schneider zu gehen, um es kommenden Montag mit den Männern, die er bei der Marquise finden würde, aufnehmen zu können. Obwohl er so ganz in Gedanken vertieft war, wendete er sein Auge nicht von der Bühne ab, auf der der dritte Akt gespielt wurde. Er betrachtete den Prunk dieses einzigen Schauspiels und überließ sich dabei seinen Träumereien über Madame d'Espard. Er war verzweifelt über die plötzliche Kälte, die in seltsamem Gegensatz zu den glühenden Erwägungen stand, mit denen er, unbekümmert um die ungeheuren Schwierigkeiten, die er gewahrte und besiegen wollte, auf diese neue Liebe losging. Er entriß sich seiner tiefen Versunkenheit, um den Blick wieder auf seine neue Göttin zu richten, aber als er den Kopf wandte, fand er sich allein, er hatte ein leichtes Geräusch gehört, die Tür hatte sich geschlossen, und Madame d'Espard hatte ihre Cousine fortgeführt. Lucien war im höchsten Grade über dieses plötzliche Fortgehen überrascht, aber gerade weil er es unerklärlich fand, dachte er nicht lange daran.
Als die beiden Frauen in ihren Wagen gestiegen waren, der durch die Rue de Richelieu nach dem Faubourg Saint-Honoré fuhr, sagte die Marquise mit verstelltem Zorn: »Liebes Kind, was denken Sie? Warten Sie doch, bis der Sohn eines Apothekers wirklich berühmt ist, bevor Sie sich für ihn interessieren. Die Herzogin von Chaulieu verleugnet jetzt noch Canalis, der berühmt und sogar von Adel ist. Dieser Bursche ist weder Ihr Sohn noch Ihr Geliebter, nicht wahr?« sagte diese hochmütige Frau und warf ihrer Cousine einen forschenden und unverhüllten Blick zu.
›Welches Glück für mich,‹ dachte Frau von Bargeton, ›daß ich dieses Bürschchen mir nicht zu nahe kommen ließ und daß ich ihm nichts gewährt habe!‹
»Nun also,« fuhr die Marquise fort, die den Augenausdruck ihrer Cousine als Antwort nahm, »lassen Sie es dabei bewenden. ich rate Ihnen gut, Sich einen berühmten Namen beizulegen!... das ist eine Kühnheit, die die Gesellschaft sich nicht gefallen läßt. Meinetwegen soll es der Name seiner Mutter sein; aber bedenken Sie doch, meine Liebe, daß dem König allein das Recht zusteht, durch besondern Kabinettsbefehl den Namen der Rubempré dem Sohn einer Frau, die diesem Haus entstammt,
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