Verlorene Liebe
Ihr Morgenmantel hing bis zum Boden herab, öffnete sich aber am Knie und gab den Blick auf ihre noch winterweißen, aber herrlich glatten Beine frei. Möglicherweise wurden ja doch Träume wahr, sagte er sich.
»Wissen Sie, Sie könnten so etwas wie mein Berater oder Sachverständiger werden. Ich meine, wer würde sich besser mit Mordermittlungen in Washington auskennen als ein Detective vom hiesigen Mordkommissariat?«
Berater. Etwas verlegen ob seiner Hintergedanken riß er den Blick mit Gewalt von ihren Beinen los. Er atmete vernehmlich aus und mußte dann lachen. »Sie kommen gleich zur Sache, was, Miß McCabe?«
»Für Sie Grace, und ja, es stimmt, ich packe den Stier stets bei den Hörnern. Aber ich würde bestimmt nicht lange schmollen, wenn Sie nein sagen würden.«
Während er sie ansah, fragte er sich, ob es auf der Welt wohl irgendeinen Mann gab, der angesichts dieser Augen nein sagen könnte. Aber dann fiel ihm ein, daß sein Partner Ben ihm oft genug vorwarf, viel zu leichtgläubig zu sein. »Nun ja, hin und wieder könnte ich sicher ein paar Stunden erübrigen.«
»Sehr schön. Wie wäre es denn gleich morgen mit einem Dinner? Bis dahin ist meine Schwester bestimmt überglücklich, mich für ein paar Stunden los zu sein. Wir könnten uns über Mordfälle unterhalten.«
»Ja, ich denke, das wäre mir recht.« Er erhob sich, und es kam ihm so vor, als hätte er gerade eine stürmische Fahrt ins Ungewisse angetreten. »Jetzt muß ich aber wirklich wieder an die Arbeit.«
»Dann will ich noch rasch Ihr Buch signieren.« Nach einer kurzen Suche fand sie neben dem Telefon einen Kugelschreiber. »Oh, ich kenne Ihren Vornamen noch gar nicht.«
»Ed. Ed Jackson.«
»Hi, Ed«, schrieb sie auf die erste Seite und steckte dann den Stift gedankenverloren in die Tasche des Morgenmantels. »Dann bis morgen, neunzehn Uhr?«
»Okay.« Er bemerkte, daß Grace Sommersprossen hatte. Ein halbes Dutzend dieser Punkte waren über ihren Nasenrücken verteilt. Und ihre schlanken Handgelenke wirkten zerbrechlich. Ed schob das Buch wieder von einer Hand in die andere. »Und vielen Dank für das Autogramm.«
Grace ließ ihn zur Hintertür hinaus. Er roch gut, dachte sie, nach frisch geschnittenem Holz und nach Seife. Als Ed fort war, rieb sie sich die Hände und begab sich nach oben, um den tragbaren Computer anzuschließen.
Sie arbeitete den ganzen Tag an ihrem Roman und begnügte sich zum Mittagessen mit einem Schokoriegel, den sie in der Tasche gefunden hatte. Wann immer sie aus der Welt, die sie dort erschuf, auftauchte und in die Wirklichkeit zurückkehrte, hörte sie das Hämmern und Sägen von nebenan. Grace hatte die Maschine direkt am Fenster aufgestellt, weil sie gern einen Blick auf das Nachbarhaus warf und sich dabei vorzustellen versuchte, was gerade innerhalb der vier Wände vor sich gehen mochte.
Einmal bemerkte sie einen Wagen, der dort vorfuhr. Ein breitschultriger, dunkelhaariger Mann stieg aus, marschierte über die Einfahrt und trat ein, ohne anzuklopfen. Grace ließ für ein paar Momente ihrer Fantasie über diesen Besucher freien Lauf. Dann versenkte sie sich wieder in ihre Arbeit. Als sie das nächste Mal aufschaute, waren zwei Stunden vergangen. Von dem Wagen war nichts mehr zu sehen.
Grace drückte den Rücken durch, zog die letzte Zigarette aus dem Päckchen und las die letzten Absätze, die sie geschrieben hatte. »Gute Arbeit, Maxwell«, lobte sie das Gerät. Dann flogen ihre Finger über ein paar Tasten. Der Computer hatte sein Tagespensum erledigt. Kathleen fiel ihr wieder ein, und sie stand auf, um ihr Bett zu machen.
Die Kiste stand mitten im Gästezimmer. Der Lieferant hatte sich tatsächlich einverstanden erklärt, sie nach oben zu bringen. Er hätte sie sogar für ein Lächeln von ihr ausgepackt. Grace betrachtete das sperrige Teil für einen Moment, rang mit sich und beschloß dann, sich erst später um das Chaos unter dem Deckel zu kümmern. Statt dessen begab sie sich wieder nach unten, fand im Radio einen Sender mit flotter Musik, und daraufhin dröhnte der neueste Song von ZZ Top durch das Haus.
Kathleen fand sie im Wohnzimmer, ausgestreckt auf der Couch, mit einem Glas Wein in der Rechten und einer Illustrierten in der Linken. Ungeduld brodelte in ihr hoch, aber sie kämpfte dagegen an. Sie hatte gerade einen anstrengenden Tag hinter sich, in dem sie sich bis zur Erschöpfung damit abgemüht hatte, etwas in die Hirne von hundertdreißig Teenagern hineinzuzwingen. Die
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