Verlorene Liebe
ihr Konto strömten, aber wenn man gerecht sein wollte, mußte man zugeben, daß sie sich dieses Geld auch redlich verdient hatte. Ihre Schwester wollte das aber partout nicht einsehen, und das verdroß Grace immer wieder aufs neue.
»Ich bin schließlich auf Urlaub.«
»Ich aber nicht.«
»Okay. Wenn du schon nicht verreisen willst, ist es dir doch hoffentlich recht, wenn ich mich ein bißchen im Garten nützlich mache.«
»Ich habe nichts dagegen.« Kathleen rieb sich die Schläfen. Die Kopfschmerzen wollten seit einiger Zeit überhaupt nicht mehr vergehen. »Eigentlich wäre mir das sogar sehr recht. Ich bin noch nicht dazu gekommen, mich großartig um ihn zu kümmern. In Kalifornien hatten wir einen so schönen Garten, weißt du noch?«
»Aber natürlich.« Grace hatte den Garten immer als zu ordentlich und damit langweilig empfunden. Der Garten war so wie Jonathan gewesen. Oder wie Kathleen. Grace haßte den kurzen Anflug von Bitternis, der sie bei diesem Gedanken befiel, und schob das Gefühl rasch beiseite. »Wir könnten ein paar Stiefmütterchen kaufen. Wie hießen doch noch gleich die Blumen, die Mom so sehr geliebt hat? Winden?«
»Ja, wäre schön.« Aber Kathleen war mit den Gedanken ganz woanders. »Grace, gleich brennt das Fleisch an!«
Später schloß sie sich in ihrem Arbeitszimmer ein. Grace hörte das Telefon klingeln, den Fantasy-Anschluß, wie sie ihn für sich nannte. Nach zehn Anrufen ging sie nach oben auf ihr Zimmer. Sie fühlte sich noch nicht müde und schaltete den Computer ein. Aber sie konnte sich nicht auf ihre Arbeit oder die Morde, die sie erfunden hatte, konzentrieren.
Das zufriedene und glückliche Gefühl, das sie in der vergangenen Nacht und fast den ganzen Tag über begleitet hatte, war restlos vergangen. Mit ihrer Schwester stimmte etwas nicht. Ihre Launen wechselten zu rasch und zu abrupt. Grace hatte es schon auf der Zunge gelegen, Kathleen eine Therapie vorzuschlagen, aber sie wußte nur zu gut, was für eine Reaktion das hervorgerufen hätte. Ihre Schwester hätte sie nur mit einem dieser harten, aggressiven Blick bedacht, und damit wäre das Thema für sie beendet gewesen.
Grace hatte Kevin nur einmal erwähnt. Kathleen hatte darauf scharf entgegnet, daß sie weder über ihn noch über Jonathan zu reden wünsche. Grace kannte ihre Schwester gut genug, um in diesem Moment zu begreifen, daß sie Grace’ Besuch bereits bedauerte. Und schlimmer noch, Grace fing ebenfalls an zu bereuen, hierher gefahren zu sein. Kathleen hatte so eine Art an sich, immer die weniger angenehmen Eigenschaften ihrer Schwester hervorzulocken – Aspekte ihrer Persönlichkeit, die Grace ansonsten ganz gut im Griff hatte.
Doch sie war gekommen, um zu helfen. Irgendwie würde ihr das auch gelingen, trotz der Widerstände auf beiden Seiten. Natürlich brauchte das seine Zeit, beruhigte sie sich, während sie den Kopf auf den Arm legte. Sie entdeckte, daß im Nachbarhaus die Lichter angegangen waren.
Hier oben konnte Grace das Telefonklingeln aus dem Arbeitszimmer nicht mehr hören. Sie fragte sich, wie viele Anrufer ihre Schwester heute wohl noch entgegennehmen würde. Wie vielen Männern, die sie noch nie zu Gesicht bekommen hatte, würde sie Befriedigung verschaffen. Ob sie zwischen den Telefonaten die Klassenarbeiten durchsah? Grace stellte sich das komisch vor. Sie wünschte, die Vorstellung hätte sie tatsächlich erheitert, aber sie konnte Kathys angespanntes Gesicht nicht vergessen, während sie das Essen auf ihrem Teller hin und her geschoben hatte.
Grace rieb sich die Augen und sagte sich, daß sie heute abend sowieso nichts mehr für ihre Schwester tun konnte. Kathleen war fest entschlossen, alles auf ihre Art zu regeln.
Wie wunderbar es war, ihre Stimme wieder zu hören, das rasche, rauchige Lachen zu vernehmen. Heute abend trug sie etwas Schwarzes, ein dünnes durchsichtiges Nichts, das ein Mann ihr mit einem Ruck herunterreißen konnte.
Der junge Mann sprach kaum ein Wort. Das machte ihn glücklich. Wenn er die Augen schloß, konnte er sich vorstellen, sie spräche zu ihm. Nur zu ihm. Seit Stunden schon lauschte er ihrer Stimme und den zahllosen Telefonaten. Nach ein paar Worten spielten die Worte aus ihrem Mund für ihn keine Rolle mehr. Nur Desirees warme, lockende Stimme, die aus den Kopfhörern in sein Bewußtsein drangen, waren noch wichtig. Irgendwo im Haus lief ein Fernsehgerät, aber er bekam nichts davon mit, denn sein Kopf war angefüllt von ihr.
Desiree wollte
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