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Verlorene Liebe

Verlorene Liebe

Titel: Verlorene Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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Es war ihm schon nicht leichtgefallen, ihre Arbeit zu akzeptieren, wenn sie in ihrer Praxis in Uptown saß. Natürlich sagte ihm sein Verstand, daß er sie nicht vor allen dunkeln Facetten der heutigen Zeit abschirmen konnte, aber es machte ihn erst recht nervös, sie hier auf dem Revier zu sehen.
    Sie fuhr mit einem hübschen, sorgfältig manikürten Finger über die Seiten des Berichts der Gerichtsmediziner. Bens Eingeweide verknoteten sich.
    »Mir fällt auf, daß beide Morde zur gleichen Zeit verübt worden sind.«
    Harris rieb sich mit einer Hand über den Bauch. Sein Magen fühlte sich jeden Tag etwas leerer an. »Wir dürfen wohl annehmen, daß dies zum Vorgehensmuster des Täters gehört.« Er brach ein winziges Stückchen von einem Rosinenbrötchen ab, das langsam hart wurde. Vor einigen Tagen schon hatte er sich einreden können, daß es nichts weiter ausmachte, wenn er Kalorien in kleinen Dosen zu sich nahm. »Ich habe Ihnen noch gar nicht sagen können, wie sehr die Abteilung sich über Ihre Mitarbeit freut, Dr. Paris.«
    »Ich schätze, die Abteilung wird sich noch mehr freuen, wenn ich auch ein paar Resultate liefern kann.« Sie nahm kurz die Lesebrille ab, um sich die Augen zu reiben. »In diesem Stadium der Ermittlungen dürfen wir wohl feststellen, daß wir es mit jemandem zu tun haben, der zu extremen Gewaltausbrüchen neigt, und daß diese Gewaltausbrüche eindeutig sexuell orientiert sind.«
    »Das ist doch eigentlich bei Vergewaltigungen der Normalfall«, brummte Ben.
    »Nein, bei einer Vergewaltigung handelt es sich nicht um ein Sexual-, sondern um ein Gewaltdelikt. Und der Umstand, daß die Opfer nach der Gewalttat ermordet wurden, muß nicht als außergewöhnlich angesehen werden. Ein Vergewaltiger kann Frauen aus einer Vielzahl von Gründen überfallen: Frustration, niedriges Selbstwertgefühl, der Ansicht, daß Frauen minderwertig seien, Wut. Gerade letzteres spielt fast immer eine Rolle. Und in den Fällen, in denen der Vergewaltiger sein Opfer kannte, kommt noch der Wunsch nach Dominanz hinzu, das Verlangen, männliche Stärke und Überlegenheit zu demonstrieren oder sich das zu holen, von dem er glaubt, daß es ihm zusteht oder daß es ihm angeboten wurde. Der Täter steht oft unter dem Eindruck, das Opfer wehre sich nur, um für ihn den Reiz zu erhöhen, und in Wahrheit wolle die Frau mit Gewalt genommen werden.«
    Tess setzte die Brille wieder auf und lehnte sich zurück. »In den beiden vorliegenden Fällen beschränkte sich die Gewaltanwendung auf jeweils einen Raum, in dem die Opfer dann auch aufgefunden wurden. Der Täter benutzte sowohl bei Kathleen wie auch bei Mary die gleiche Waffe: eine Telefonschnur. Und höchstwahrscheinlich ist das Telefon auch seine Verbindung zu den beiden Frauen. Über den Hörer haben sie ihm zuvor etwas in Aussicht gestellt, ihn mit etwas gelockt. Und so ist er zu ihnen gegangen, um sich das zu holen, was sie ihm versprochen haben. Er kam aber nicht durch die Haus-, beziehungsweise Wohnungstür, sondern ist bei ihnen eingebrochen. Möglicherweise, um sie zu überraschen oder auf diese Weise die Erregung zu steigern. Ich neige zu der Ansicht, daß es sich bei der ersten Tat um einen Mord im Affekt gehandelt hat, daß er Kathleen aus irgendeinem Impuls oder Reflex heraus umgebracht hat. Sie hat sich gegen ihn gewehrt und ihn physisch oder seelisch verletzt, vielleicht auch beides. Vermutlich entpuppte sich Kathleen nicht als die Frau, die er erwartet hatte; oder anders gesagt, als die Frau, als die sie sich in seiner Fantasie am Telefon dargestellt hatte. Er war der Ansicht, eine Beziehung mit ihr zu haben. Deshalb hat er auch zu ihrer, besser gesagt, zu Desirees Beerdigung Blumen geschickt. Es ist von größter Wichtigkeit, sich ständig vor Augen zu halten, daß der Täter Kathleen Breezewood gar nicht kannte, sondern nur Desiree. Er hat sie nie, selbst im Moment der Ermordung nicht, als die Frau gesehen, die sie war. Desiree war für ihn auch als Kathleen die Frau, die er sich in seiner Fantasie erschaffen hatte.«
    »Aber wie konnte er sie dann überhaupt ausfindig machen?« wandte Ben ein. »Wie konnte er, ausgehend von einer Stimme am Telefon, das Haus finden, in dem die Frau wohnte? Was hat ihn auf ihre Spur gebracht?«
    »Ich wünschte, ich wüßte die Antwort darauf.« Tess hätte gern seine Hand genommen. Wenn sie allein gewesen wären, hätte sie das bestimmt auch getan. Aber hier auf dem Revier entstand immer eine gewisse Distanz zwischen

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