Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
untergetaucht“, gab Pütz zu bedenken. Ein schwaches Argument. Das wusste sie selber. Das eigene Leben in Gefahr zu begeben, um einen Mörder, anzulocken, war sicherlich eine völlig bekloppte Idee.
„ Und wer hat sie dann angerufen und am See belauert? Frau Doktor Pütz, Mörder zu fangen ist Aufgabe der Polizei“, sagte Winterhalter auffahrend.
„Das soll es ja auch bleiben“, sagte sie.
„Und warum lassen Sie sich dann nicht von der Polizei beschützen? Ist Ihnen nicht klar, dass Gefahr besteht?“
Sie wusste keine Antwort auf diese Frage. Oder doch?
Weil ich es Jolanka versprochen habe.
War dieses, einer Toten gegebene Versprechen, es Wert, das eigene Leben in Gefahr zu verbringen?
Pütz streckte sich und gähnte. „Ich möchte nicht unhöflich sein, aber mein Tag war doch recht anstrengend. Ich würde mich jetzt gerne ein wenig ausruhen.“
Winterhalter reichte ihr die Hundeleine, die er bis dahin in Händen gehalten hatte. Pütz schaute ihn verständnislos an.
„Ich dachte, Sie nehmen Marie mit?“ Es war zwar keine Absprache in Bezug auf den Verbleib des Hundes getroffen worden, auch hatte sie es bisher versäumt, sich bei ihm für seinen Beistand in dem Streit mit Clara von Hohenstetten zu bedanken. Doch war sie insgeheim davon ausgegangen, dass Winterhalter Marie über Nacht zu sich nehmen würde. Das lehnte er jetzt ab. Sie kombinierte blitzschnell.
„Sie brauchen einen Wachhund!“, sagte Winterhalter und zog seine Augenbraue hoch.
Pokerface.
„Ich brauche keinen Wachhund“, antwortete sie, überlegte es sich aber sofort anders, „Ich brauche jemanden, der sich um Marie kümmert. Ich dachte, dass Sie das für mich erledigen. Bitte!“
Sie legte ihm ihre Hand auf den Unterarm.
„Tausche Polizist gegen Wachhund.“
Pütz verstand. Er erpresste sie.
Schmollmund.
Sie überlegte.
„Gut, ich gehe zu Streiter und lasse mir einen Beamten vor die Türe setzen. Zufrieden?“
Winterhalters Züge entspannten sich. „Lassen Sie uns gehen, bevor Sie es sich wieder anders überlegen“, sagte er und setzte sich schon in Bewegung.
„Warten Sie“, sagte Pütz, die sich gerade vorkam, wie ein kleines Kind, dem der Vater ein Versprechen abgeluchst hatte, „Ich möchte mich noch für ihren Beistand bedanken. Eben, bei Frau von Hohenstetten.“
Sie machte einen Schritt auf Winterhalter zu.
Der blieb stehen, schaute ihr in die Augen.
„Ich versuche nur, das zu beschützen, was mir wichtig ist!“
Was mir wichtig ist.
Manche Liebesgedichte bestanden aus wenigen Worten.
*
Es war nicht das erste Mal, dass sie sich in ihrem Leben zu viel zumutete. Nicht zuletzt war sie genau deshalb hier. Jetzt hatte sie aber eine Chance, dass sie bald nicht mehr alleine sein würde. Die Worte, die Reto Winterhalter zu ihr gesagt hatte, verfehlten ihr Ziel nicht. Alles, was sie noch benötigte, war ein Platz, um zur Ruhe zu kommen. Wo sie den Kopf wieder würde freipusten können. Die Reha würde bald beendet sein. Pütz zweifelte daran, dass Sie die volle Zeit hier in der Klinik würde verbringen müssen. Jedenfalls würde sie am nächsten Tag ein Gespräch mit Professor Wielpütz anstrengen. Um das zu klären.
Und danach an einen Ort zu flüchten, wo sie ihrem bisherigen Leben die kalte Schulter zeigen konnte. Jedenfalls für eine Zeit.
Die Zeiten standen auf Veränderung. Und es machte ihr auch keine Angst.
Nicht mehr.
Vor der Türe saß der junge Polizist, den Streiter dafür abkommandiert hatte.
Pütz war er sehr sympathisch. Ein großer, schlanker Typ. Mit breiten Schultern. Er füllte beinahe die ganze Tür aus. Pütz fühlte sich sicher. An diesem Polizisten käme so leicht keiner vorbei. Er hatte ihr eine gute Nacht gewünscht, als sie von einer letzten Gassi-Runde mit Winterhalter und Marie zurückgekommen war.
Marie war nur widerwillig mit Winterhalter gegangen. Doch schließlich hatte sie sich in ihr Schicksal ergeben, und war mit ihm losgetapst.
Trotzdem dachte sie an den Welpen. Sie stand im Bad und cremte sich nach einer ausgiebigen Dusche von Kopf bis Fuß ein. Mit großen, kreisenden Bewegungen. Dann trat sie näher an den Spiegel heran und betrachtete sich kritisch.
Du bist manchmal ein richtiges Biest.
Und Winterhalter ist so ein angenehmer und anziehender Mann.
Du hast ihn schon wieder vor den Kopf geschlagen.
Es wäre auch möglich gewesen, dass er die Bitte abschlägig behandelt hätte.
Und ich hätte mich nicht einmal beschweren dürfen.
Das indirekte
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