Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
Licht schmeichelte ihrer Haut. Sie ging noch näher an den Spiegel heran, kniff sich mit zwei Fingern in die Wange und zog sie ein Stück weg. Kritisch beäugte sie die Falten, die sich nun glätteten. In der Erinnerung ließ sie die Bilder, die sie von sich gespeichert hatte, wie einen Film vor – und zurücklaufen.
Du bist schon älter geworden.
Aber du bist auch keine Zwanzig mehr. Mit beiden Händen griff sie nach ihren Brüsten und schob sie ein wenig nach oben. Ließ sie wieder sinken. Sie erinnerte sich noch dunkel an eine Massage, die ihr Mann ihr einmal bereitet hatte. Mit seinen kräftigen Händen hatte er sie mit Öl und Cremes eingerieben. Sie hatte es genossen. Auch den Sex, den sie danach hatten.
Sie ließ die Hände sinken. Falsche Erinnerung zur falschen Zeit. An ihren Mann sollte sie wirklich nicht mehr denken. Vor allem nicht, wenn sie kurz zuvor noch an Reto Winterhalter gedacht hatte.
Was mir wichtig ist.
So etwas sagte ein Mann doch nicht einfach so. Hoffte sie. Sie hatte diese beinahe zärtlichen Worte aufgesaugt wie ein Schwamm, hätte den Zauber des Moments gerne weiter ausgelebt.
I m Eingangsbereich der Kurklinik Sachsenglück. Unmöglich. Vor all den neugierigen Gästen.
Sie ging zurück in ihr Zimmer und ließ sich auf das Bett sinken. Mit Schwung warf sie sich nach hinten. Sie spürte das Laken auf ihrer nackten Haut. Ihre Hand glitt zu ihrem Bauch, streichelte sanft ihren Bauchnabel und wanderte weiter zu ihrer Hüfte.
Reto.
*
Cheb
Eliska wusste nicht, was Leidenschaft bedeutete, sie konnte mit dem Wort Lust nichts anfangen. Wie sollte das auch ein Mädchen von neun Jahren verstehen?
Ihre Schwester hatte versucht, ihr über das Kleid, was sie tragen sollte, eine Ahnung zu verschaffen.
„Weißt Du, Eli, die Männer, die sich für kleine Mädchen wie dich interessieren …“, sie stoppte den Satz, schaute zu Matej herüber, der etwas geistesabwesend auf der Matratze gegenüber saß. Er knetete seine Fingerknöchel und schaute dann plötzlich auf und Tereza in die Augen. Er war nicht geistesabwesend, er versuchte, nur seine Wut zu zügeln, die er genau in diesem Moment in sich spürte.
Wut gegen seine Mutter.
Wut gegen diese Männer.
Wut gegen alles.
„Tereza, Du musst es ihr nicht erklären. Ich werde dafür sorgen, dass es nie passieren wird. Nicht solange ich noch ein Herz in meiner Brust spüre.“
Er schlug sich mit der flachen Hand auf seine Brust und Tereza sah die Entschlossenheit in seinem Blick.
Die Wut. Den Hass.
Tereza kannte ihren Bruder nicht wieder. Immer war er besonnen, immer versuchte er, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Seiner Mutter zuliebe. So hatte Tereza es immer empfunden.
Doch nun hatte sie das erste Mal das Gefühl, ihr Bruder würde wirklich aufbegehren gegen seine Situation.
Gegen das Elend.
Egal was kommen würde.
Und damit auch gegen das, was die Männer ihr antaten.
Es gab da draußen sicherlich noch genug Männer, die auf der Suche nach schnellem Sex über die Grenze kommen würden.
Tereza spürte aber etwas in sich aufkeimen. Das erste Mal , seitdem sie sich und ihren Körper den Männern anbot.
Hoffnung.
Sie blickte verwirrt und glückverheißend zu Ihrem Bruder herüber. Im Schein der Kerzen, die auf einer Holzkiste standen, schien sein Gesicht zu flackern. Zuversicht.
Auf einmal hörten die Geschwister ein Geräusch auf der Treppe, die zum Speicher hinaufführte. Voller Angst schauten sie in die Dunkelheit. Eliska flüchtete in den Arm ihrer Schwester.
Ein dunkler Schopf schob sich unter dem maroden Querbalken hervor, der einmal eine Türe krönte.
*
Bad Elster
Die Läden zum kleinen Balkon hin waren geschlossen, draußen vor der Türe saß der Polizist mit dem Kreuz eines Athleten. Carola Pütz sollte sich gut fühlen, sicher.
Sie tat es auch. Doch eine andere Tatsache konnte sie nicht leugnen. Sie fand keinen Schlaf. Schon seit Stunden wälzte sie sich hin und her. Ihre Finger ertasteten den Wecker.
Halb vier.
Das Licht des Weckers erlosch. Sie starrte wieder in die Dunkelheit, legte ihre Arme unter den Kopf. Je mehr sie versuchte, zu schlafen, desto weniger fand sie Ruhe.
Ruhig bleiben.
Sie musste langsam und ruhig atmen.
Wie im Wasser.
Mit einem Ruck warf sie die Decke nach links und angelte mit den Füßen nach den Pantoffeln. Der Morgenmantel flog über ihre Schultern.
„Sie schwimmen gerne?“, fragte sie in das Dunkel des Ganges, wo sie den Polizisten vermutete.
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