Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
einer? Ein Freier? Ein Perverser?“ , flüsterte er.
„Keine Ahnung. Was weiß ich“, sagte Pavel und schlug sich mit beiden Händen auf die Oberschenkel.
„Du kennst diese Typen. Du hast uns erzählt, dass Du früher selber Stricher warst. Du weißt, wie sie schauen, Du weißt, wie sie dich anschauen. Du weißt irgendwann sogar, wie sie riechen. Habe ich nicht Recht, Pavel?“
Pavel nickte. Er hielt den Atem an, denn wie so oft, dachte er immer wieder an einen besonderen Freier. Damals war er noch sehr klein gewesen. Zu klein, um sich zu wehren. Der Kerl hatte ihn übel zugerichtet. Es passiert zu einer Zeit, als noch keine größeren Jungen mit dem Kleineren mitfuhren, um sie zu beschützen.
„Ja, glaub mir, ich weiß das. Ich kenne ihren stinkenden Atem, wenn sie in dich eindringen. Ein Gemisch aus Alkohol, Essensgeruch und einem billigen After Shave. Ich kenne auch ihre deutschen Worte, die sie rufen, wenn sie dich beleidigen wollen.“
„Ja dann verstehen wir uns ja. Und?“
„Er hat nicht so geschaut, als würde er auf Jungs stehen. Den Blick kenne ich. Außerdem … “, er hielt mitten im Satz inne.
„Außerdem was?“
„Wir waren zu dritt, der hatte Schiss und ist gelaufen wie ein Hase.“
Er lachte. Einen Moment später bemerkte er, dass auch, um den bisher so schmerzhaft zusammengekniffenen Mund Matejs ein kleines Zucken zu sehen war.
„Die Frau. Kanntest Du die Frau?“ Das Zucken verschwand.
„Nein, die kannte ich nicht. Sie war nicht aus unserem Viertel hier. Sie sah irgendwie feiner aus.“
„Feiner? Keine Roma?“
„Doch schon, aber sie hatte etwas Elegantes an sich. Sie trug einen dunklen Mantel, der sicher einmal teuer gewesen war.“
Matej wischte sich ein paar Schweißperlen von der Stirn, obwohl es doch gar nicht heiß war, hier auf dem Speicher.
Wir sind verloren.
Bad Elster
Pütz schlich durch die Gänge wie eine Diebin und kam sich deshalb selber närrisch vor.
Du brauchst dich nicht verstecken. Warum auch.
Sie öffnete die Türe zum Verbindungsgang zwischen dem Altbau und dem Neubau und schloss sie wieder hinter sich.
Wo war nur der Polizist?
Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass er jetzt im Dunkeln vor ihrer Türe wachte? Nicht sehr groß.
Sie musste in sich hinein lachen, bei der Vorstellung, dass er womöglich ein leeres Zimmer bewachte.
Es regnete. Das Wetter spielte echt verrückt. Gestern Schnee, dann dieser Nebel. Jetzt regnete es. Das Prasseln der Tropfen gegen die hohen Glasscheiben hatte etwas Heimeliges.
Pütz hatte dem Durchgang bisher nie große Beachtung geschenkt. Es war ein Durchgang. Wirklich neu war er auch nicht mehr, aber im Vergleich zum ältesten Bauteil schon etliche Jahrzehnte jünger. Dieser Flur roch trotzdem muffig. Diese Tatsache fiel ihr gerade besonders auf. Vielleicht, weil die Schleimhäute der Nase durch das Chlor sensibilisiert waren. Dieser muffige Geruch lag darin begründet, dass die nach außen ausgestellten Fenstererker an einigen Stellen undicht waren. Der Hausmeister hatte die Kosten für eine komplette Sanierung des Durchganges immer gescheut und versucht, die Stellen mit Silikon abzudichten.
Sie trat hinter eine der weißen Schiebegardinen in einen Erker, die als einzige moderne Komponente in dem Gang beinahe etwas deplatziert wirkten. Der Regen prasselte gegen die oberen Scheiben. Das Wasser lief in langen Fäden am Glas herunter. Sie versuchte , draußen etwas zu erkennen. Nichts. Die im Boden eingelassenen Strahler waren alle aus.
Kein Strom. Totale Dunkelheit.
Sie war im Begriff, sich wieder zurück in den Flur zu wenden, als sie hörte wie die Türe wieder geöffnet wurde, durch die sie eben hineingekommen war. Jemand kam jetzt auch hinein. Hinter der Person klickte leise die Türe ins Schloss. Zu leise.
Da schlich jemand durch das Gebäude .
Stille.
Jemand, der hier nicht hingehörte .
Sie lauschte, ob sie das vertraute Geräusch der Polizeistiefel erkannte.
Nein.
Suchte jemand nach ihr? Carola Pütz drückte sich gegen das Glas. Sie spürte die Kälte.
Halt die Luft an . Das hast Du eben noch geübt.
Unwillkürlich begann sie , zu zählen.
Eins.
Zwei.
Sie hörte noch keine Schritte auf den dicken Flor des Teppichbodens. Aber sie spürte, wie sich jemand näherte. Ihr Herz klopfte wie wild in ihrer Brust. Begegnete sie gerade dem Mörder? Oder bildete sie sich das nur ein und ein Gast irrte im Dunkeln durch die Flure? Man vernahm jetzt ein leises Tapsen auf dem Boden. Es kam
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