Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
der beiden und ließ die Zeit ablaufen, bis sein Verteidiger im Verhörraum auftauchte.
Nachdem er mit dem Anwalt alleine war, presste er nur diese wenigen Worte hervor: „Wenn ich der Polizei etwas sage, bringen die mich um! Helfen Sie mir!“
*
Zufall oder Schicksal? War es Zufall oder Schicksal, dass Carola Pütz am Vorabend nach ihrem Schwächeanfall wieder eine Zählattacke erlitt? Das war eine Frage, die sie schon immer - seit diesem Abend - beschäftigt hatte und die sie auch in der Zukunft immer wieder beschäftigen sollte.
Was wäre passiert, wenn sie nicht ohnmächtig geworden wäre? Was wäre passiert, wenn der Polizist mit ihr zusammen nach ihrem Schlüssel hätte suchen können, anstatt sich um sie zu bemühen? Hätten sie noch die Chance gehabt, denjenigen, der ihr solch einen Schrecken in die Glieder hatte fahren lassen, zu finden? Nur ein paar Stunden, nachdem sie von der Nachtschwester der Klinik versorgt worden war, die aber , um keinen verhängnisvollen Fehler zu machen, ihre Vorgesetzten informiert hatte, saß Carola Pütz nun wieder Professor Wielpütz gegenüber. Sein Assistent, Doktor Torben Frerichs, stand am Fenster, beteiligte sich aber nicht an dem Gespräch, was der Professor gerade führte. Er wirkte seltsam unbeteiligt und entrückt, als würde er schon das Unheil nahen sehen, was die Klinik sehr bald einholen würde.
„Es war kurz , nachdem das Licht wieder im gesamten Haus anging, als es für mich wieder dunkel wurde“, versuchte Pütz, zu scherzen.
Der Blick des Professors strafte sie ab. „Ich habe Ihnen gestern nicht erlaubt, sich in Gefahr zu begeben. Da haben wir uns aber gründlich missverstanden, Frau Kollegin.“
„Ich konnte ja nicht wissen, dass jemand durch das Haus schleicht“, antwortete sie.
„Ja, in unserer Klinik geschehen gerade wirklich sehr seltsame Dinge“, sinnierte der Professor, dem sofort wieder sein morgendliches Telefonat mit dem Leiter der Trägerorganisation einfiel. Ein sehr unerfreuliches Telefonat, an dessen Ende eine unmissverständliche Drohung zwar nicht formuliert, aber deutlich in den Raum gestellt worden war.
„Ich würde es anders formulieren, Herr Professor.“
„Achja“, sagte der Mediziner.
„Sie können am allerwenigsten für diese Vorfälle. Da würde ich andere Personen ansprechen wollen“, sagte Pütz und schaute zu Frerichs herüber, der immer noch wie gebannt aus dem Fenster starrte. Nein, ihn hatte sie damit auch nicht im Sinn. Ihre Gedanken gingen eher in Richtung der Verwaltung der Klinik. Zu Clara von Hohenstetten und vor allem zu Franziska Eichhorn.
Wieso war sie noch nicht befragt worden?
Weil die Diebstähle in den Hintergrund getreten waren und die Polizei höchstwahrscheinlich keinen direkten Zusammenhang zwischen den Morden und den Diebstählen sah, die ja bereits viel früher begonnen hatten.
„Darum geht es aber nun nicht. Wir sind hier, um Sie eindringlich zu warnen, Frau Kollegin. Ihre Gesundheit ist ein fragiles Pflänzchen. Dieses Pflänzchen müssen sie hüten. Es bedarf keiner falschen Pflege, sonst wird es eingehen. Sie verstehen hoffentlich meine Metapher.“
Und wie gut Pütz den Professor verstand. Wieder lag es nur an ihr, eine Veränderung nicht nur herbeizuwünschen, sondern sie auch aktiv mitzugestalten.
Sie erinnerte sich lebhaft daran, wie sie auf der Bahre aufgewacht war, letzte Nacht.
Ein enger Raum. Ein Vorhang. Weißes Baumwollgemisch, gehalten von sechzehn Ringen, aus Plastik. Eine Frau, rötliches, kurz geschnittenes Haar, ihr in die Stirn hängend, mit Brille, dunkles Gestell. Keine hohe Dioptrienzahl, die Augen erschienen weder zu klein, noch vergrößert hinter den Gläsern. Sie kam ihr bekannt vor, ohne ihr einen Namen zuordnen zu können.
Eine Stimme, warmer Tonfall. Besorgt klingend.
Wo bin ich? Wer war die Frau?
„Da sind Sie ja wieder Frau Doktor, sie waren aber lange ohnmächtig.“
Ohnmächtig?
Ohne Zweifel, denn sie lag auf einer Bahre. Es roch nach Krankenhaus. Erinnerungströpfchen. Der Schlüssel. Der nette Polizist.
„Wo bin ich? Wo ist der Polizist?“, fragte Pütz, deren Stimme noch reichlich angeschlagen klang. Sie räusperte sich.
„Machen Sie sich keine Sorgen. Sie sind noch in der Klinik. Der Polizist hat sie hierhergebracht. Sind sie mal froh, dass er so ein Baum von einem Kerl ist. Er hat sie auf Händen hierhergetragen“, sagte die Krankenschwester mit einem bewundernden Unterton. Ihr schien der junge Beamte auch zu
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