Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
und Matej ihren Verrichtungen nachgingen. Doch fand sie dort niemanden. Auch hatte keine der anderen Mädchen Tereza oder Matej in den letzten Tagen gesehen. Das nagende Unbehagen, was sie am gestrigen Tag noch gespürt hatte, war der nackten Angst gewichen.
Wo waren ihre Kinder?
Hatte sie gestern noch daran geglaubt, dass es sich um einen dummen Streich ihrer Kinder handelte, so glaubte sie immer mehr an ein Verbrechen. Was, wenn es wirklich so war? Eine dumpfe Vorahnung brach sich immer mehr Bahn in ihrem Kopf. Hatte sich einer der Freier die Kinder geschnappt? Immer mehr von ihnen wurden zum Sex mit über die Grenze nach Deutschland genommen. Auch Tereza hatte ihr davon erzählt, dass einige Freier sie bereits darauf angesprochen hatten. Erst in den letzten Tagen war bekannt geworden, dass eine Tschechische Prostituierte in einer Klinik in Deutschland ermordet worden war. Die Presse und auch das Fernsehen hatten darüber berichtet.
Sie eilte die Straße entlang. Wo waren ihre Kinder? Aneta Kucera blieb am Straßenrand stehen und schaute der Reihe der Autos mit deutschem Kennzeichen nach. Neben ihr hielt ein Mercedes an, die Seitenscheibe fuhr lautlos herunter.
„Findest Du nicht, dass Du ein wenig zu alt bist, um hier noch zu stehen?“, fragte ein Mann, dessen Gesicht sie gar nicht sehen konnte.
*
„Wir mussten leider meinen Privatwagen nehmen, weil meine Kollegin mit dem Dienstfahrzeug unterwegs ist. Ich hoffe, es hat Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereitet, meine Kinder hinterlassen schon mal gerne ihren Müll auf dem Rücksitz“, sagte sie und schloss die Fahrertüre ihres Renault Kangoo ab.
„Nein, machen Sie sich bloß keine Gedanken“, antwortete Pütz. In ihrem Schädel begann der Kopfschmerz , seinen Siegeszug fortzusetzen. Marie schnüffelte zu ihren Füßen.
Schuberth lächelte sie an.
„Ich werde jetzt mit Ihnen in einen Ortsteil gehen, wo sonst kein Tourist hinkommt. Dort wohnen die meisten Roma in Cheb“, sagte sie an beide gewandt.
Pütz und Winterhalter schauten sich an.
„Ich vermute, dass wir ihr Fahrzeug hier bereits abstellen, hat einen besonderen Grund“, mutmaßte Winterhalter und machte sich im Geiste schon wieder Notizen für seinen Artikel.
Schuberth nickte. „Man sollte hier kein Fahrzeug abstellen, von dem man sich weiter als fünf Meter entfernt. Ist leider eine traurige Wahrheit“, sagte sich und machte eine Geste in Richtung einiger grauer, heruntergekommener Altbauten.
Zusammen schritten die drei Personen weiter. Pütz bekam feuchte Hände bei dem Gedanken, dass sie hinter der nächsten Ecke schon jemand mit üblen Absichten erwarten würde. Sie drängte sich eng an Winterhalter.
„Wirklich wohl ist mir hier nicht“, flüsterte sie ihm zu.
Er blickte sich rasch nach rechts und links um, dann sagte er lächelnd: „Wenn jemand kommt, dann können Sie sich hinter mir verstecken. Ich habe ein breites Kreuz.“
Kurz zuckten ihre Mundwinkel nach oben, ein Lächeln wurde es nicht wirklich.
Vor ihnen öffnete sich ein lang gestreckter Straßenzug. Pütz verlangsamte ihren Schritt. Sie erinnerte sich an Fotos, die in Deutschland nach den Bombenangriffen des Zweiten Weltkrieges aufgenommen worden waren. Was vor ihnen lag, ähnelte eher einer Filmkulisse für einen solchen Film, als dass man es mit den malerischen Gässchen der Altstadt von Cheb in Verbindung gebracht hätte.
Sie blieb atemlos stehen.
„Diese Häuser sind schon seit Jahren kaputt“, sagte Schuberth, die ihren Blick interpretierte“, „Aber keiner tut etwas. Für die Roma sind diese Wohnungen, die teilweise keine Heizungen haben, gerade gut genug.“
Als sie sich wieder in Bewegung setzten, sah sie mit einem Seitenblick, dass die Glasscheiben der alten Holztüre, die hinter den ausgetretenen Stufen lag, zerbrochen waren oder ganz fehlten. Stattdessen waren Holzreste und Pappe dort eingesetzt. Gegen die Kälte.
Pütz schauderte, als sie das mit ihrem gepflegten Treppenhaus in Frankfurt verglich, wo sich die Nachbarn schon aufregten, wenn mal ein verlorenes Papiertaschentuch im Treppenhaus lag.
Winterhalter blieb stehen und sein Blick wanderte hinauf zu den Dächern der Häuser.
„Ein heftiger Sturm und das kommt alles herunter“, sagte er.
Schuberth verzog ihren Mund und nickte nur zustimmend.
Einen Straßenzug weiter stieg gerade ein Mann die Treppen hinauf. Irgendwo musste doch dieser kleine Strauchdieb wohnen. Aber wo? Es gab hier keine Klingeln und wenn doch, dann
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