Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
einen Spalt, schaute auf die Straße. Es dämmerte schon.
Er hielt die Haustüre mit der Linken fest und wagte einen Blick die Straße entlang. Du benimmst dich albern, dachte er. Wieso sollte genau jetzt hier ein Streifenwagen entlang fahren?
Er ließ die Türe fahren, mit einem lauten Knall schlug sie ins Schloss.
Auf der Straße kreuzte er seine Arme, zog den Kopf zwischen die Schultern und ging schnell, aber nicht zu schnell, damit er nicht auffiel, in die Richtung, wo der Häuserblock endete.
*
Die düsteren Gedanken von Aneta Kucera verdunkelten sich weiter, je mehr es anfing, zu dämmern. Sie hatte schon mit dem Gedanken gespielt, die Polizei einzuschalten. Doch dort kannte man sie und ihre Kinder. Man würde auch keinen Finger krumm machen, um drei verschwundene Roma-Kinder zu suchen. Sie konnte eine Vermisstenanzeige aufgeben, ob sich ein Beamter dieser Anzeige annehmen würde, das war unklar.
Es konnte möglich sein, dass sich die Kinder über die Grenze abgesetzt hatten. Dieses Argument würde sicher auch die Polizei anführen, um sich aus ihrer Verantwortung zu stehlen.
Seitdem sie der Mann im Mercedes angesprochen hatte, weil er sie für eine alternde Prostituierte hielt, fühlte sie sich noch zusätzlich in eine merkwürdige Stimmung versetzt.
Jeder, der mit dunklerer Haut und schwarzem Haar an der Straße stand, war vogelfrei. Und niemand tat etwas dagegen, dass sie so behandelt wurden.
Sie wünschte sich, mehr als jemals zuvor, dass ihre Familie wieder in gelenkte Bahnen zurückfinden würde. Doch davon schienen sie im Moment so weit entfernt zu sein, wie ein kleiner Käfer vom Gipfel des Mount Everest. Sie wusste ja nicht einmal, wo sich ihre Familie zurzeit befand.
Sie wünschte sich, dass sie jetzt ihre Kinder wiederfand, dass sie ihnen ins Gesicht sagen konnte, dass nun alles besser und dass sie ihr wieder Vertrauen schenkten.
Vertrauen.
Stattdessen hielt der nächste deutsche Mittelklassewagen neben ihr. Das Fenster fuhr wieder lautlos herunter.
„Wie viel?“
*
Tereza ergriff Pavels Handgelenke und zog ihn zu sich heran. „Wir laufen jetzt schon bestimmt über eine Stunde hier herum. Es scheint mir, dass Du keine Ahnung hast, wo Matej sich aufhalten könnte.“
„Er kann überall sein“, sagte Pavel und versuchte, sich loszureißen. Doch ihr Griff war fester, als erwartet.
„Vielleicht ist er auch schon lange wieder auf dem Speicher und sucht nach uns“, sagte Tereza und stieß ihn weg, „Du bist echt eine große Hilfe, Pavel.“
„Dann gehen wir eben wieder zurück. Deine Schwester ist jetzt auch schon eine ganze Weile alleine.“
Sicher war es besser, die Suche aufzugeben.
*
Matej hatte es geschafft. Die letzten Meter bis zur Eingangstüre lief er. Mit einem Schwung riss er die Holztüre auf, nachdem er durch das Einzige, noch verbliebene Glas, hineingesehen hatte. Drinnen war es dunkel.
Die Türe klackte mit einem satten Ton zu. Matej war schon die ersten Treppenstufen hinaufgeflogen. Er griff nach dem Geländer, zog sich ein Stück hoch. Er verkniff es sich, zu rufen, hastete weiter. Doch als er die Holztreppe erreicht hatte, die zum Speicher führte, rief er nach seiner Schwester.
„Tereza, nicht erschrecken, ich bin’s.“
Er warf die dunkle Decke zur Seite, schlüpfte hindurch und blieb wie angewurzelt stehen. Seine Augen wurden groß. Er konnte nicht glauben, was er dort sah. Seine Hand suchte Halt, doch gab es keinen Halt.
Eliska.
Dämmerlicht. Decken. Holzbalken. Matratzen. Vertraut, und plötzlich fremd und bedrohlich.
Sofort sah er den kleinen Körper seiner Schwester. Sie lag entkleidet auf einer Decke, trug nur noch einen Slip. Eliska rührte sich nicht.
Schlief sie?
„Liska!“, schrie er laut und, nachdem er seine Schreckstarre überwunden hatte, stürzte er zu ihr. Zerrte die Decke unter ihr hervor und bedeckte sie damit. Sie war ganz kalt.
Was war hier passiert?
Er hob behutsam ihren Kopf an, fühlte ihre Stirn, legte seinen Kopf auf ihre Brust.
Sie atmete.
Gottseidank.
Er fühlte sich wie an einem Abgrund.
Was war hier passiert? Seine Schwester lebte, doch schien sie ohnmächtig zu sein.
Wieso?
Seine Gedanken überschlugen sich. Er musste einen Krankenwagen holen. Sie in Sicherheit bringen.
Dann würde ihre Mutter erfahren, wo sie waren. Egal. Es ging um Eliska.
Plötzlich ein Geräusch. Holz knackte. Dielen.
Hinter ihm.
Matej fuhr herum und sah eine Gestalt, die sich gerade der Decke am
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