Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
plötzlich aufhören. Es war doch klar, dass die Frau Doktor die Polizei einschaltet. Das war dir auch vorher klar“, antwortete ein Mann mit zischender Stimme.
Das kann jetzt nicht wahr sein!
Carola Pütz erstarrte. Wie es aussah, standen jetzt keine vier Meter entfernt, nur durch die Türe von ihr getrennt, die mutmaßlichen Diebe. Ein Mann und eine Frau. Sie versuchte sich den Tonfall und die Klangfarbe der Stimme einzuprägen.
„Und ich sage dir noch einmal, Du hörst während der Ermittlung durch die Polizei auf damit. Ich habe keine Lust, durch dich meine Anstellung zu verlieren.“ Sie klang sehr aufgeregt, ihre Stimme überschlug sich.
Angestellt. Die Frau war angestellt. Sie sprach nicht von einem Job. Sie war hier angestellt. Fest vermutlich. Carola Pütz zog sich zurück. Einerseits neugierig, andererseits bekam sie Angst. Sie hatte in ihrem Leben schon viele Kriminelle erlebt. Doch waren diese in der Regel tot. Mausetot. Diese beiden hier aber waren quicklebendig.
Und vielleicht gefährlich.
Auf leisen Sohlen schlich sie die Treppe herunter. Fünf Stufen. Zwanzig Meter bis zur Türe. Geschickt umkurvte sie die Tische, die schon für den Abend eingedeckt waren. Noch zehn Meter bis zur Türe. Dann würde niemand sie bemerkt haben. Sie war sich sicher, die Stimme im Laufe der Zeit zu erkennen.
Plötzlich ertönte von der Bühne eine laute, ungehaltene Stimme: „Der Speisesaal ist noch nicht geöffnet. Wie kommen Sie denn hier herein?“
Carola Pütz hielt in der Bewegung inne.
Mist. Wenn ich mich jetzt umdrehe, sehe ich eine Diebin.
Die Stimme war die der Frau. Ganz langsam drehte sie sich herum und blickte zur Bühne herüber.
Herzklopfen.
Auf der Bühne stand mit in die Hüften gestemmten Armen eine Frau. Mit dem Blick, den sie Carola Pütz zuwarf, hätte man Tote aufwecken können. Sofern das gehen würde.
Es war Franziska Eichhorn.
„Entschuldigung“, sag te Pütz, „Die Türe stand offen. Ich finde den Raum so toll, da bin ich eben mal schnell hineingegangen. Ich wusste nicht, dass das verboten ist.“ Sie versuchte ein normales, unbeteiligtes Gesicht zu machen.
Franziska Eichhorn wurde in dem Moment bewusst, dass sie einen Kurgast nicht so anfahren konnte. Ihr war der Schreck in di e Glieder gefahren, als sie Pütz dort im Speisesaal sah. Normalerweise waren die Türen bis eine Viertelstunde vor Beginn der Essenszeit geschlossen. Eine der Putzfrauen hatte sie wohl nicht verschlossen.
„Nein, sicherlich ist es nicht verboten. Schauen Sie sich nur um“, sagte sie und fragte sich, ob die Frau wohl etwas gehört hatte. Ihre Stimme war nun nicht mehr so barsch.
„Vielen Dank, aber ich habe alles gesehen, was ich sehen wollte“, sagte Pütz vielsagend und ließ die Frau auf der Bühne stehen. Sie drehte sich um und verließ schnell den Speisesaal. Franziska Eichhorn warf ihr einen misstrauischen Blick hinterher.
Während Carola Pütz zurück zu ihrem Zimmer ging, überlegt sie, was sie tun sollte. Die Polizei informieren? Die Klinikleitung informieren? Wer weiß, vielleicht steckten noch mehrere Angestellte mit diesen beiden unter einer Decke. Sie verwarf den Gedanken. Abwarten.
Vielleicht war ja auch alles ganz anders.
Der Mann könnte ja auch etwas total Harmloses gemeint haben. Wäre da nicht das Wort ‚Auftraggeber‘ gewesen.
Egal. Sie würde abwarten. Zu gegebener Zeit konnte sie mit ihrer Entdeckung vielleicht punkten.
Zurück in ihrem Zimmer spürte sie eine innere Erregung. Beinahe so wie bei einer plastischen Rekonstruktion. Ganz am Anfang. Wenn noch nichts geklärt war. Wenn der nackte Schädel vor ihr stand. Forschergeist. Fühlte sich so ein Detektiv? Ihr gefiel der Gedanke.
*
Über Nacht war der Schnee wieder verschwunden. Auch war es nicht mehr so kalt wie am Vortag. Carola Pütz öffnete das erste Mal, seitdem sie ihr Zimmer bezogen hatte, die Türe und trat hinaus auf den kleinen Balkon.
Man konnte nicht sagen, es sei mild, aber die Luft schien einmal komplett getauscht worden zu sein. Heute war der erste Advent. Ein wenig Schnee hätte dem Tag, gut zu Gesichte gestanden.
In der Eingangshalle brannte die erste Kerze an dem riesigen Adventskranz, der seit dem gestrigen Abend unter der Decke hing. Stilecht wären echte Kerzen gewesen, doch seit einem Adventskranzbrand Ende der Achtzigerjahre war mit dieser Tradition gebrochen worden und es gab täuschend echt aussehende elektrische Kerzen. Die waren sogar der neuesten Generation angehörend und reagierten
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