Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
irgendwo rechts oder links außen sitzen würden, wo die Akustik grottenschlecht sein würde. Doch ihre Befürchtungen waren unbegründet. Der Platzanweiser zeigte auf zwei Plätze in der zehnten Reihe, ziemlich mittig gelegen. Die Klinik ‚Sachsenglück‘ hatte mal wieder gewonnen, und sehr gute Plätze ergattert.
„Perfekt“, entfuhr es ihr, als sie sich setzte. Silvia Schleisieck nahm rechts neben ihr Platz.
„Diese Atmosphäre. Da können moderne Bauten einfach nicht mithalten. Schauen Sie sich das an, wie herrlich.“
Mit strahlenden Augen sah sich ihre neue Bekannte um. Sie hatte zweifelsohne recht. Der Bau hatte mehr als Stil. Er hatte Geschichte. Verglichen mit modernen Häusern, in denen klassische Musik dargeboten wurde, war dieses Theater hier sicher eher klein. Klein, aber fein.
Binnen einer Viertelstunde war das König Albert Theater bis auf den letzten Platz gefüllt. Wie an solchen Orten üblich herrschte ein gedämpftes Gemurmel. Ein paar alte Männer hasteten noch schnell zur Toilette. Mit erleichterten Gesichtern kamen sie zurück, kurz bevor die Musiker ihre Instrumente stimmten. Auf der Empore standen noch einige Personen und schauten ihnen dabei zu.
Sie setzten sich erst, als der Dirigent durch eine Seitentüre die Bühne betreten hatte, seine Noten auf dem Dirigentenpult abgelegt, und sich mit einem eleganten Schwung herumgedreht hatte, um sich vor dem Publikum zu verbeugen. Die Musiker standen ebenfalls auf, begrüßten das Publikum und verneigten sich. Applaus brandete auf. Der Dirigent wandte sich seinem Orchester zu.
Dann wurde es still. Ein letzter Zuhörer ließ einen erstickten Huster los. Der Dirigent hob den Taktstock. Carola Pütz konnte kaum den ersten Ton abwarten.
Wehmütig klang er, sowie auch die ganze Einleitung des Adagios.
Ohne es zu bemerken, zählte Carola Pütz die Musiker, die nicht in einem Orchestergraben saßen, sondern erhöht sitzend, sehr gut zu sehen waren. Sie zählte zwei Flöten, zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Fagotte sowie vier Hörner, zwei Trompeten, dazu drei Posaunen, eine Tuba, eine Pauke, eine Triangel, ein Becken und zehn Streichinstrumente.
In dieser Musik konnte sie ganz aufgehen, konnte sich fallenlassen. Warum es gerade diese 9. Symphonie war, die ihr so eine Freude bereitete, konnte sie nicht einmal sagen. Auch Dvoráks Polowetzer Tänzer gefielen ihr sehr gut. Doch nur diese spezielle Orchestrierung hatte es ihr besonders angetan. Es war, als hätte Dvorák ihr die Noten aus der Seele entwendet.
Zwischen dem zweiten und dem dritten Satz gab es eine Pause. Carola Pütz erwachte wie aus einem Tagtraum, als es im Saal plötzlich heller wurde. Sie hätte die Pause später erwartet, nach der Symphonie, eher zwischen den beiden Komponisten. Denn danach gab es noch ein Stück. Von Kodaly. Moderner. Und es war ihr nicht so geläufig.
„Ungewöhnlich, jetzt eine Pause zu machen“, empfand auch Frau Schleisieck. Das Gemurmel im Saal schwoll an. Sie sahen sich um. Einige standen auf, um sich die Beine zu vertreten, andere gingen ins Foyer.
„Gehen wir auch?“
„Warum nicht. Gefällt es Ihnen?“, fragte Carola Pütz.
„Sehr schön. Ich genieße es sehr. Es war eine gute Idee mit Ihnen zu kommen, Frau Pütz“, sagte sie.
Das Foyer war schon gut gefüllt, als sie dort angelangten. Ein Kellner reichte ihnen ein Glas Sekt.
„Auf den schönen Abend“, prostete Carola Pütz ihrem Gegenüber zu. Die hob ebenfalls ihr Glas.
„Auf den schönen Abend. Ich finde es interessant, wie viele kultivierte Menschen man an einem solchen Ort trifft. Ich hatte keinerlei Erwartungen an Bad Elster, als ich erfuhr, dass ich hier meinen Kuraufenthalt verbringen würde. Der Name klingt wie aus einem Roman. Und jetzt stehen wir hier.“
„Ja“, sagte Carola Pütz lachend, „Mir ging es ähnlich. Der Ort nimmt einen gefangen mit seinem Charme.“
Etwas drang an ihr Ohr. Fremd und doch schon ein wenig vertraut. Ein Dialekt. Ein Schweizer Dialekt. Sie sah sich um. Richtig. Keine drei Meter entfernt stand der Mann, den sie am Nachmittag gesehen hatte. Er unterhielt sich angeregt. Silvia Schleisieck verfolgte ihren Blick.
„Sie haben einen guten Geschmack. Nicht ganz meine Altersklasse, aber sehr attraktiv.“ Sie schmunzelte.
Carola Pütz fühlte sich ertappt. „Entschuldigung.“
„Wofür? Wir sind doch hier , um uns zu amüsieren.“
Sie antwortete mit einem verlegenen Lächeln. Wieder schaute sie zu dem Fremden herüber. Diesmal bemerkte er
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