Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
Techniker ein paar Überschuhe geben.
*
Cheb
Auch in Tschechien hatte es in der letzten Nacht tüchtig geschneit. Die Geschwister hatten kaum ein Auge zugemacht. Immer wieder waren sie ihren Plan durchgegangen. Dann und wann schaute einer der drei aus dem mit Gardinen verhangenen Fenster. Jetzt war es noch kälter in dem Zimmer ohne Heizung. Oft war es Eliska, die auf dem Bett ihrer Schwester kniete und in die Nacht schaute. Sie war verwirrt, wusste nicht, ob sie das Richtige taten. Sie wünschte sich, dass ihre Mutter wieder eine Arbeit fände. Die Schneeflocken tanzten vor ihren Augen. Eliska liebte Schnee.
Den Plan hatte Tereza entworfen. Sie hatte ein Telefonat ihrer Mutter belauscht. Für den Nachmittag hatte sich ein Mann angemeldet. Aus dem Wortlaut des Gespräches entnahm sie, dass der Mann schon einmal bei ihnen gewesen war.
Wegen ihm hatte sich Eliska beim Nachbarn versteckt.
„Der Mann hat so komisch geschaut, der war mir unheimlich. Ganz unheimlich.“ Sie flüsterte so leise, dass man sie fast kaum verstand. Doch ihre Geschwister verstanden sie auch ohne Worte.
„Eli, wenn Du nicht magst, dann brauchst Du den Mann nicht treffen. Du musst es uns nur sagen“, hatte ihre Schwester gesagt.
Eliska hatte nur den Kopf geschüttelt und traurig die Augen niedergeschlagen. Es gefiel ihnen gar nicht, ihre Schwester so zu sehen, geschweige denn, zu wissen, was am Nachmittag des folgenden Tages mit ihr geschehen würde. Um ihre Menschenwürde zu erhalten, mussten sie etwas wagen.
„Wir können dich in unser Versteck bringen. Da findet dich der Mann nicht.“
„Ja, ehrlich?“ Eliska nickte dankbar, „Ein Versteck, das klingt toll. Versteckt ihr euch dort auch? Kommt ihr mit?“, fragte Eliska aufgeregt.
Matej fing den Blick seiner Zwillingsschwester auf und kniff ihr ein Auge zu.
„Sicher, wir kommen mit. Meinst Du, wir lassen dich bei deinem Abenteuer alleine?“
Tereza nahm Eliskas Hand.
„Wie toll, der blöde Mann wird sicher sauer sein, wenn ich nicht da bin. Und … Mama auch“, sagte sie und ihr Blick trübte sich ein.
Bei jedem hier aus der Straße lief das Leben gleich ab. Bei fast allen. Soweit wollten sie es nicht kommen lassen.
„Mama wird sich Sorgen um dich machen, sie wird nicht böse sein. Sei ganz ruhig, meine Kleine.“
Eliska sprang auf das Bett ihrer Schwester und kuschelte sich an sie.
„Ich habe euch ganz doll lieb.“
„Wir sollten jetzt mal versuchen zu schlafen“, sagte Matej. Ihre kleine Schwester vertraute ihnen. Und dieses Vertrauen sollten sie nicht aufs Spiel setzen, weil sie übernächtigt waren.
„Ja, wir schlafen jetzt alle schnell ein“, sagte Tereza und zog ihre Schwester an sich. Die ringelte sich zusammen wie ein kleines Kätzchen und schlief sofort ein.
Der Morgen verlief wie jeder Morgen. Die Geschwister saßen wortlos am Frühstückstisch. Der Schnee lag einen halben Meter hoch auf den Straßen von Cheb. So viel hatte es geschneit. Noch voriges Jahr hätte sie es nicht abwarten können, hinaus in den Schnee zu kommen. Ihre Mutter saß heute nicht mit am Tisch. Sie hatte schon gefrühstückt und kam mit einem Mantel in der Hand aus ihrem Zimmer.
„Eliska, Du bist noch nicht draußen? Was ist los? Es hat geschneit“, sagte ihre Mutter. Das Mädchen blickte stumm auf ihr letztes Stück Brot, was vor ihr auf dem Holzbrettchen lag.
Sie warf ihrer Schwester einen verstohlenen Blick zu.
„Eliska hat heute Nacht nicht gut geschlafen“, antwortete ihr Bruder für sie.
„Ach ja“, antwortete die Mutter, „Kinder, ihr müsst gleich losgehen, heute ist sicher viel Verkehr wegen des Schneefalls.“ Sie wickelte sich einen Schal um den Hals und knöpfte den Mantel aus derbem Stoff zu.
„Ja, Mama, wir gehen gleich los. Sorge dich nicht“, antwortete Tereza. Sie schaute ihre Geschwister an.
„Wohin gehst Du, Mama?“, fragte Eliska ihre Mutter.
„Einkaufen“, antwortete die Mutter aus dem Flur, wo sie sich ihre Stiefel anzog. Sie trat noch einmal in die Türe und verabschiedete sich von ihren Kindern. Nachdem die Türe ins Schloss fiel, atmeten die Kinder auf.
„Ich hatte solche Angst, dass sie etwas bemerkt“, sagte Eliska erleichtert. Sie rutschte vom Stuhl herunter und rannte in das Zimmer der Kinder. Als sie Sekunden später wieder in der Küche auftauchte, hielt sie ihren Rucksack in der Hand. Mit einem Schwung landete der Rucksack auf dem Küchenstuhl.
„Wir müssen uns beeilen“, sagte Tereza. Sie holte das Brot
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