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Verlorene Seelen

Verlorene Seelen

Titel: Verlorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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schrieb –
    zweifellos in einer äußerst fachmännischen Handschrift, da war er sich ganz sicher –, blieb ihr Gesicht ruhig. Doch er hatte es in jenem kurzen, unachtsamen Moment gesehen, als sie auf den Gang hinausgetreten war. Da hatte es nicht unberührt gewirkt, sondern auf unnatürliche Weise beherrscht. Das gefiel ihm nicht, ebenso wie ihm dieser Ort mit den sauberen weißen Wänden und den ausdruckslosen, elenden Gesichtern nicht gefiel.
    Sie gab der Schwester die Akte zurück, sagte mit gedämpfter Stimme etwas zu ihr, das sich, wie er annahm, auf die Frau bezog, von der sie gerade beschimpft worden war, und schaute erneut auf die Uhr.
    »Tut mir leid, daß du warten mußtest«, sagte Tess, als sie zurückkam. »Ich muß noch meinen Mantel holen.
    Wollen wir uns nicht draußen treffen?«
    Als sie aus dem Gebäude kam, stand er am Rande des Rasens und rauchte in aller Ruhe eine Zigarette. »Du hast mir am Telefon nicht die Möglichkeit gegeben, dir zu sagen, daß ich nicht möchte, daß du dir all diese Umstände machst. Ich fahre schon seit langem allein in die Klinik und wieder zurück.«
    Er warf seine Zigarette auf den Boden und trat sie sorgfältig aus. »Warum hast du dir diesen ganzen Müll von ihr bieten lassen?«
    Tess holte tief Luft, bevor sie sich bei ihm einhakte.
    »Wo steht dein Auto?«
    »Eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten, ist Psychiaterscheiß.«
    301
    »Ja. Ja, das ist es. Sieh mal, wenn sie mich nicht beschimpft hätte, wäre das, was ich mache, zu nichts nutze. Das war seit Beginn der Therapie das erste Mal, daß wir ein Stück weitergekommen sind. Also, wo steht dein Auto? Es ist kalt.«
    »Da drüben.« Heilfroh, die Klinik hinter sich lassen zu können, ging er neben ihr her. »Er hat dich wieder angerufen.«
    »Ja, gleich nach dir.« Sie wünschte sehr, diese Angelegenheit mit der gleichen professionellen Gemütsruhe handhaben zu können, mit der sie die Patienten in der Klinik behandelt hatte. »Gelang es, den Anruf zurückzuverfolgen?«
    »Sie konnten feststellen, daß er aus einem bestimmten Areal gekommen ist. Niemand hat etwas gesehen. Wir arbeiten noch daran.«
    »Seine Laura ist tot.«
    »Das hab’ ich mir schon gedacht.« Er schickte sich an, die Autotür zu öffnen, hielt jedoch inne. »Ebenso wie ich mir schon gedacht habe, daß du sein nächstes Ziel bist.«
    Sie wurde weder bleich noch fing sie an zu zittern. Das hatte er auch nicht erwartet. Sie nickte bloß und fand sich damit ab. Dann legte sie ihm die Hand auf den Arm.
    »Würdest du mir einen Gefallen tun?«
    »Ich kann’s versuchen.«
    »Laß uns heute abend nicht darüber sprechen. Überhaupt nicht.«
    »Tess …«
    »Bitte. Ich muß morgen mit dir aufs Revier fahren und mit Captain Harris reden. Reicht es nicht, wenn wir dann alles durchkauen?«
    Er nahm ihr Gesicht in seine unbehandschuhten kalten 302
    Hände. »Ich werde nicht zulassen, daß dir irgend etwas zustößt, ganz gleich, was ich dafür tun muß.«
    Sie lächelte und umfaßte seine Handgelenke. »Dann brauche ich mir ja keine Sorgen zu machen, nicht wahr?«
    »Du liegst mir sehr am Herzen«, sagte er zögernd. Es war das erste Mal, daß er sich einer Frau gegenüber zu so etwas wie einer Liebeserklärung durchgerungen hatte.
    »Ich möchte, daß du das weißt.«
    »Dann fahr mich nach Hause, Ben.« Sie schmiegte ihre Lippen in seine Handfläche. »Und beweis es mir.«
    303
    13
    Mürrisch wischte der Hausmeister im Gang vor dem Dezernat eine graubraune Pfütze auf. Auch der starke Fichtennadelduft des Reinigungsmittels vermochte es nicht ganz andere, eher menschliche Gerüche zu überdecken. Der Automat, der schwarzen Kaffee, Milchkaffee und in großzügigen Momenten sogar heißen Kakao aufbrühte, lehnte wie ein verwundeter Soldat an seinem Kameraden, der für Schokolade und Süßigkeiten zuständig war. Der geflieste Fußboden war mit einer ganzen Armee von Styroporbechern besät. Ben steuerte Tess um die schlimmsten Stellen herum.
    »Hat der Kaffeeautomat wieder mal den Geist
    aufgegeben?«
    Der Mann mit staubigem grauen Haar, der einen
    staubigen grauen Overall trug, blickte über den Stiel seines Mops. »Ihr solltet endlich aufhören, die Automaten zu treten. Sehen Sie sich mal diese Delle an.« Er zeigte auf die betreffende Stelle und wischte noch mehr Kaffee und Lysol auf. »Kriminell ist das.«
    »Tja.« Ben warf dem Süßigkeitenautomat einen
    unfreundlichen Blick zu. Am Tag zuvor hatte er ihm selbst eine neue Delle zugefügt,

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