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Verlorene Seelen

Verlorene Seelen

Titel: Verlorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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den Kopf schüttelte. »Schizophrenie, manische
    Depression, gespaltene Persönlichkeit. Solche
    Etikettierungen werden zu leichtfertig verwendet und verallgemeinern meistens zu sehr.«
    Ben drehte sich um und starrte sie an, was sie aber gar nicht bemerkte. Sie schob ihre Brille ins Etui zurück und warf es in ihre Handtasche. »Jede psychische Störung ist 40
    ein höchst individuelles Problem, und jedes Problem kann man nur verstehen und in Angriff nehmen, indem man seine Ursachen aufdeckt.«
    »Ich arbeite auch lieber mit konkreten Fakten«, sagte Harris zu ihr. »Aber die sind in diesem Falle rar. Haben wir es mit einem Psychopathen zu tun?«
    Ihr Gesichtsausruck veränderte sich ganz leicht. Sie ist ungehalten, dachte Ben, der die feine Falte zwischen ihren Augenbrauen und das rasche Zucken ihre Lippen
    bemerkte. Dann war sie wieder ganz profihaft. »Wenn Sie einen allgemeinen Begriff brauchen, kann man von Psychopathie sprechen. Das bedeutet Geistesgestörtheit.«
    Ed strich sich über den Bart. »Er ist also wahnsinnig.«
    »Wahnsinn ist ein juristischer Begriff, Detective«, sagte Tess fast ein wenig gouvernantenhaft, während sie den Schnellhefter an sich nahm und aufstand. »Darüber wird man sich auseinandersetzen müssen, wenn man ihn gefaßt hat und vor Gericht stellt. Ich werde Ihnen so schnell wie möglich ein Täterprofil erstellen, Captain. Es wäre vielleicht ganz hilfreich, wenn ich mir die auf den Leichen hinterlassenen Zettel und die Mordwaffen ansehen könnte.«
    Unzufrieden stand Harris auf. Obwohl er wußte, daß man nicht mehr erwarten konnte, reichte ihm das alles nicht. Er wollte feste Anhaltspunkte haben. »Detective Paris wird Ihnen alles zeigen. Vielen Dank, Dr. Court.«
    Sie schüttelte ihm die Hand. »Im Moment gibt es noch nicht sehr viel, wofür Sie mir danken müßten. Detective Paris?«
    »Hier entlang, bitte.« Mit einem kurzen Kopfnicken führte er sie aus dem Zimmer.
    Er sagte kein Wort, während er sie durch die Korridore geleitete, bis sie zu einer Absperrung kamen, wo sie sich 41
    in eine Liste eintrugen, um sich die Beweisstücke ansehen zu können. Tess schwieg ebenfalls, während sie die Zettel und die ordentlichen, präzisen Druckbuchstaben studierte.
    Das Schriftbild blieb sich immer gleich, so daß die einzelnen Mitteilungen fast wie Fotokopien wirkten. Der Mann, der sie geschrieben hatte, war weder zornig noch verzweifelt gewesen – eher von innerem Frieden erfüllt.
    Er suchte Frieden und trachtete auf seine verdrehte Art und Weise danach, ihn anderen zuteil werden zu lassen.
    »Weiß bedeutet Reinheit«, murmelte sie, nachdem sie sich die Humeralia angesehen hatte. Vielleicht ein Symbol, überlegte sie. Aber für wen? Sie wandte sich von den Zetteln ab, die sie gruseliger fand als die Mordwaffen.
    »Anscheinend ist er ein Mensch, der eine Mission zu erfüllen hat.«
    Ben erinnerte sich daran, wie frustriert er sich nach jedem vorgefallenen Mord gefühlt hatte. Dennoch war seine Stimme ruhig und ausdruckslos, als er sagte: »Sie hören sich an, als seien Sie sich Ihrer Sache sehr sicher, Frau Doktor.«
    »Tatsächlich?« Sie drehte sich um, musterte ihn, dachte kurz nach und folgte einem Impuls. »Wann haben Sie Dienstschluß, Detective?«
    Ein wenig verunsichert neigte er den Kopf zur Seite.
    »Seit zehn Minuten.«
    »Gut.« Sie zog ihren Mantel an. »Dann können Sie mir einen Drink spendieren und mir erzählen, warum Sie meinen Beruf nicht mögen, oder ob es einfach daran liegt, daß Sie mich persönlich nicht mögen. Ich verspreche auch, daß ich nicht anfangen werde, Sie zu analysieren.«
    Irgend etwas an ihr reizte ihn. Das coole, elegante Aussehen, die kräftige, kultivierte Stimme. Vielleicht waren es auch die großen, sanften Augen. Darüber würde 42
    er später nachdenken. »Ohne daß Sie ein Honorar verlangen?«
    Sie lachte und stopfte ihren Hut in die Manteltasche.
    »Damit sind wir vielleicht schon an der Wurzel des Problems.«
    »Ich muß noch meinen Mantel holen.« Während sie zum Dezernat zurückgingen, fragten sie sich beide, warum sie im Begriff waren, einen Teil des Abends mit jemandem zu verbringen, der den anderen und das, was er war, so offenkundig ablehnte. Aber andererseits war jeder von ihnen entschlossen, es dem anderen im Laufe des Abends gehörig zu zeigen. Ben schnappte sich seinen Mantel und kritzelte etwas in eine Kladde.
    »Charlie, sag Ed, daß ich mit Dr. Court noch etwas zu besprechen habe.«
    »Hast du deinen Bericht schon

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