Verlorene Seelen
immer Leute gibt, die lächerliche Dinge kaufen, sofern der Preis hoch genug ist.
Ihr Besitzer war ein gerissener kleiner Mann, der für das baufällige Gebäude einen Spottpreis an Miete bezahlte und seinen Ruf als Exzentriker förderte, indem er die Fassade braunrot streichen ließ. Er trug vorzugsweise lange, unförmige Jacken in allen Regenbogenfarben mit dazu passenden Halbstiefeln und rauchte pastellfarbene Zigaretten. Er hatte ein merkwürdiges, mondförmiges Gesicht und helle Augen, die ins Flattern gerieten, wenn er von der Freiheit und Ausdruckskraft der Kunst sprach.
Seinen Profit legte er in Kommunalobligationen an.
Magda P. Carlyse war eine Künstlerin, die in war, seit eine ehemalige First Lady eine ihrer Skulpturen gekauft hatte, um sie der Tochter einer Freundin zur Hochzeit zu schenken. Einige Kunstkritiker hatten zwar gemeint, daß die First Lady den Neuvermählten nicht allzu freundlich gesonnen sein könne, doch das hatte Magdas Aufstieg nicht aufhalten können.
Ihre Ausstellung in der Greenbriar Gallery war ein Riesenerfolg. Der Raum war zum Bersten voll von Leuten, die Pelz oder Seide, Kleidung aus Jeansstoff oder Stretch trugen. Es gab Cappuccino in fingerhutgroßen Tassen und Pilzpastetchen von der Größe eines Vierteldollars. Ein über zwei Meter großer Schwarzer, der in ein
purpurfarbenes Cape gehüllt war, stand wie gebannt vor einer Skulptur aus Blech und Federn.
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Tess sah sich die Skulptur ebenfalls genauer an. Sie erinnerte sie an die Motorhaube eines Trucks, der sich durch eine Herde unvorsichtiger Gänse gepflügt hatte.
»Eine faszinierende Kombination der Ausdrucksmittel, nicht wahr?«
Tess rieb sich mit dem Finger über die Unterlippe, bevor sie ihren Begleiter ansah. »Oh, zweifellos.«
»Von gewaltiger Symbolkraft.«
»Geradezu erschreckend«, pflichtete sie ihm bei und hob ihre Tasse an den Mund, um ein Kichern zu verbergen. Sie hatte natürlich schon von der Greenbriar Gallery gehört, aber nie die Zeit oder die Energie gehabt, diese modische kleine Galerie zu erkunden. Heute abend war sie dankbar für die Ablenkung, die diese Veranstaltung bot. »Weißt du, Dean, es ist wirklich sehr schön, daß du mich mitgenommen hast. Leider habe ich in der letzten Zeit mein Interesse an moderner, äh, Kunst ziemlich vernachlässigt.«
»Dein Großvater hat mir erzählt, daß du zuviel arbeitest.«
»Großpapa macht sich zu viele Sorgen.« Sie wandte sich ab, um eine zwei Fuß hohe, phallische Röhre, die zur Decke strebte, zu studieren. »Aber ein Abend hier lenkt einen zweifellos von allem anderen ab.«
»Diese Emotion, dieser Scharfblick«, teilte ein Mann in gelber Seide aufgeregt einer Frau im Zobelpelz mit.
»Offensichtlich symbolisiert die zerbrochene Glühbirne die Vernichtung aller Ideen in einer Gesellschaft, die zwangsläufig immer öder und gleichförmiger wird.« Da der Mann wild mit seiner Zigarette gestikulierte, trat Tess ein Stück zur Seite und warf einen Blick auf die Skulptur, von der er gerade schwärmte.
Sie bestand aus einer Fünfundsiebzig-Watt-Birne, die 236
etwa in der Mitte ein ausgezacktes Loch aufwies und in einen schlichten Sockel aus weißem Kiefernholz geschraubt war. Das war alles, abgesehen davon, daß ein kleiner roter Aufkleber verkündete, daß das Objekt bereits verkauft sei. Der Preis betrug zwölfhundertfünfundsiebzig Dollar.
»Erstaunlich«, murmelte Tess und wurde daraufhin von Mr. Gelbseide mit einem strahlenden Lächeln bedacht.
»Durch und durch innovativ, nicht wahr?« Dean lächelte die Glühbirne an, als hätte er das Kunstwerk selbst geschaffen. »Und von kühnem Pessimismus.«
»Mir fehlen die Worte.«
»Ich weiß genau, was du meinst. Als ich das Ganze zum erstenmal sah, hat es mir auch die Sprache verschlagen.«
Tess beschloß, sich jeden Kommentars zu enthalten, und ging lächelnd weiter. Sie überlegte, ob sie einen Aufsatz über diese Form der Massenhysterie und die Beweggründe schreiben sollte, welche die Leute dazu brachten, Geld für esoterischen Schrott auszugeben. Sie blieb vor einem Glaskasten stehen, der mit Knöpfen in unterschiedlichen Größen und Farben gefüllt war. Viereckige, runde, emaillierte und stoffüberzogene Knöpfe lagen dicht gedrängt in dem abgeschlossenen Kasten. Die Künstlerin hatte ihrem Werk den Titel ›Weltbevölkerung, 2010‹
gegeben. Eine Pfadfinderin hätte nach Tess’ Dafürhalten etwa dreieinhalb Stunden gebraucht, um das Ganze zusammenzustellen. Auf dem Preisschild
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