Verlorene Seelen
Hacken seiner abgelaufenen Tennisschuhe hin und her. »Ganz spontane Sache. Ich habe Greenbriar vor etwa sieben Jahren hopsgenommen.
Ging damals um die künstlerische Gestaltung von Schecks. Als er mir die Einladung schickte, hab’ ich gedacht, ich schau mal vorbei, um festzustellen, wie er so vorankommt.« Er warf einen Blick durch den Raum und sah, wie sein Gastgeber gerade die Frau mit den Diamanten umarmte. »Anscheinend kommt er bestens voran.«
Tess nippte an ihrem Cappuccino, der langsam kalt wurde, und fragte sich, ob Ben mit jedem, den er mal 240
verhaftet hatte, auf solch freundschaftlichem Fuße stand.
»Und was hältst du von der Veranstaltung?«
Ben blickte zu dem Kasten mit Knöpfen hinüber. »In einer Gesellschaft, in der die Supermärkte spezielle Einkaufsabende für Singles haben, muß solch eine eklatante Mittelmäßigkeit zwangsläufig enorme finanzielle Gewinne einbringen.« Er sah, wie ihre Augen
aufleuchteten, und verspürte den Wunsch, sie zu berühren.
Nur einmal. Nur ganz kurz.
»Das ist es, was Amerika so groß macht.«
»Du siehst toll aus, Frau Doktor.« Er sehnte sich nach ihr. Zum erstenmal in seinem Leben meinte er zu verstehen, was das Wort bedeutete.
»Danke.« Mit einer Intensität, wie sie sie seit ihrer Kindheit nicht empfunden hatte, wünschte sie, in der Tat toll auszusehen.
»Ich war noch nie zu einem Einkaufsabend für Singles«, warf Trixie ein, während sie einen Teller voll Pastetchen verdrückte.
»Würde dir sehr gefallen.« Bens Lächeln wurde ein wenig schwächer, als er Tess über die Schulter blickte und den Mann sah, mit dem sie zuvor zusammengestanden hatte. »Ein Freund von dir?«
Tess wandte den Kopf und wartete, bis Dean sich durch die Menge gekämpft hatte. Ihr langer schmaler Hals war von Perlen umschlossen, die ihre Haut noch zarter erscheinen ließen. Trotz aller anderen Gerüche konnte Ben den von ihr ausgehenden Duft wahrnehmen, der frisch war und eine leicht erotische Note hatte.
»Dean, darf ich dir Ben Paris und Trixie Lawrence vorstellen. Ben ist Kriminalbeamter bei der städtischen Polizei.«
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»Ah, die Polizei, dein Freund und Helfer.« Dean drückte ihm kräftig die Hand.
Der Typ sah aus, als sei er einem Cover des Gentlemen’s Quarterly entsprungen, und roch, als mache er Reklame für Brut. Ben verspürte den irrationalen Drang, seine Hand mit einem Catchergriff zu packen und sich mit ihm zu messen. »Sind Sie ein Kollege von Tess?«
»Nein, ich unterrichte an der American University.«
Ein Collegeprofessor. Das paßte. Ben steckte die Hände wieder in die Taschen und trat einen kleinen, vielsagenden Schritt von Tess weg. »Tja, Trix und ich sind gerade erst gekommen. Wir hatten noch nicht die Gelegenheit, uns alles anzuschauen.«
»Es ist fast zuviel, um alles an einem Abend aufnehmen zu können.« Dean warf einen besitzergreifenden Blick auf das neben ihm stehende kupferne Durcheinander. »Ich habe gerade dieses Objekt gekauft. Es ist zwar für mein Büro ein bißchen gewagt, aber ich konnte einfach nicht widerstehen.«
»Ach was?« Ben betrachtete die Skulptur und grinste ironisch. »Sicher sind Sie vor Freude außer sich. Ich werd’
mich mal ein bißchen umsehen. Vielleicht finde ich auch etwas für meine Bude. War schön, Sie kennenzulernen.«
Er legte den Arm um Trixies stramme Taille. »Bis dann, Frau Doktor.«
»Gute Nacht, Ben.«
Es war noch nicht einmal elf, als Tess allein in ihr Apartment zurückkehrte. Die Kopfschmerzen, die sie als Entschuldigung angeführt hatte, um den Abend vorzeitig zu beenden, waren nur eine halbe Lüge gewesen.
Normalerweise fand sie Gefallen an den gelegentlichen 242
Verabredungen mit Dean. Er war ein unkomplizierter Mensch, der keine Ansprüche stellte, und gehörte zu der Sorte Mann, die sie sich für ihre Verabredungen ganz bewußt aussuchte, damit ihr Privatleben gleichermaßen unkompliziert und frei von Verpflichtungen blieb. Aber heute abend hätte sie einfach nicht den Nerv für ein spätes Abendessen und eine Diskussion über die Literatur des neunzehnten Jahrhunderts gehabt. Nicht nach der Kunstgalerie.
Nicht nachdem sie Ben gesehen hatte, wie sie sich eingestand, während sie gleich hinter ihrer Wohnungstür aus den Schuhen schlüpfte. Alles, was sie seit jenem letzten Morgen erreicht hatte, um ihr Ego zu besänftigen und die innere Spannung zu lindern, war einfach in nichts zerronnen.
Sie mußte also wieder ganz von vorn anfangen.
Sie zog ihre Pelzjacke aus und
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