Verlorene Träume (Windham-Reihe, Band 3) (German Edition)
die Mauer.
Sie hielt sich den schmerzenden Kopf und betete inständig, ihre Erinnerung möge wiederkehren. Es war so verwirrend, sich diesem Mann gegenüberzusehen, ihre Reaktion auf ihn zu spüren, aber nicht zu wissen, was dies für sie bedeuten konnte. Wenn sie nur wüsste, wer sie war, was für Wünsche und Träume sie hegte, dann konnte sie vielleicht auch verstehen, warum in der Nähe ihres Dienstherrn alles so aufregend und ungewohnt war.
Der Impuls, vor ihm davonzulaufen, war übermächtig gewesen, aber nicht wie bei Lorna aus Angst geboren. Dieser starke Fremde faszinierte sie und sprach all ihre Sinne an. Sie mochte am liebsten seine von der Sonne gebräunte Haut unter ihren Fingern fühlen, seinen Duft ergründen und herausfinden, wie seine Lippen schmeckten. Und dies erschreckte sie, denn, obwohl sie sich nicht an ihr bisheriges Leben erinnern konnte, war Rose sicher, dass die Nähe zu einem Mann bei ihr noch nie so eine beschämende Reaktion ausgelöst hatte. Sie wünschte nur, sie könnte all dies mit Gewissheit sagen. Was, wenn sie sich täuschte? War sie vielleicht ein Mädchen mit losen Moralvorstellungen, wenn es anscheinend nur weniger Worte bedurfte, um ihre Leidenschaft zu wecken?
Und Himmel!, wie sehr dieser unverfrorene Kerl etwas in ihr zum Schwingen gebracht hatte. Ihre Fingerspitze kribbelte dort, wo seine Zunge und seine Lippen sie berührt hatten. Sie fühlte sein tiefes Lachen noch immer in ihrer Magengrube und seinen bernsteinfarbenen Blick, der ihr trotz seiner herausfordernden Worte einen wohligen Schauer über den Rücken jagte.
Sie ließ sich an der Wand entlang zu Boden gleiten. Wo sollte sie hin? Bei ihrer Flucht war sie an der Halle vorbeigekommen. Auf den Bänken waren einige der Männer eingedöst, und die Frauen hatten sich anscheinend in ihre Kammern zurückgezogen. Sie wusste nicht, wo sie Quartier beziehen sollte, aber sie fühlte sich auch kein bisschen müde. Die lange Ohnmacht musste dafür verantwortlich sein.
Sie befühlte ihren Kopf. Die Beule war immer noch deutlich zu spüren. Wenn sie doch nur eine Ahnung hätte, was mit ihr geschehen war. Lorna hatte von einem Überfall gesprochen, aber ergab das einen Sinn? So sehr sie sich auch bemühte, Licht in das Dunkel ihrer Erinnerung zu bringen, kam sie ihrer eigenen Geschichte doch kein Stück näher.
Als der Kopfschmerz zu stark wurde, zog sie die Knie heran und legte ihren Kopf darauf. Eine ganze Weile saß sie so da. Nicht zu wissen, wer sie war, hinterließ ein tiefes Gefühl der Einsamkeit, und Rose versuchte, sich zu beruhigen. Ihr Gedächtnisverlust war nur vorübergehend, sagte sie sich und wischte sich mit dem Ärmel eine Träne aus dem Augenwinkel. So, wie sie ihren Namen wiedergefunden hatte, würde bestimmt auch der Rest ihrer Erinnerungen – die Essenz ihres Lebens – irgendwann wieder an die Oberfläche kommen. Ohne diese fühlte sich Rose verletzlich und einsam. Der raue Stoff ihres Kittels kratzte unangenehm, und es war Rose, als wollte ihr das etwas sagen. Aber was? Frustriert atmete sie aus.
Losgelöst von ihrem bisherigen Leben, musste sie sich einen Anker im Jetzt suchen, um sich nicht vollständig zu verlieren. Der Gedanke an die bernsteinfarbenen Augen ihres Dienstherren beruhigte sie; dies gab ihr Halt in ihrer so ungewissen Gegenwart. Rose hatte das starke Gefühl, als könnte ausgerechnet dieser Mann ihr Trost spenden. War das lächerlich?
Immerhin war der Bluthund nicht einmal davor zurückgeschreckt, sie trotz ihrer Verletzungen mit ungehörigen Angeboten zu bedenken.
Sie hätte nicht vor ihm davonlaufen sollen, überlegte Rose. Nun, in der Abgeschiedenheit, wusste sie, was sie hätte tun oder sagen sollen, um diesen eingebildeten Unhold in die Schranken zu verweisen. Zu dumm, dass ihr das alles erst jetzt einfiel.
Alex schritt die Wehrmauer ab. Es gab hier keine losen Steine oder unverschlossenen Durchgänge. Diesen Weg konnten die Übeltäter, die die Arbeiter in Angst und Schrecken versetzt hatten, nicht genommen haben. Er stieg einige Stufen auf die Brustwehr hinauf und spähte hinunter. Der König bewies bei der Wahl seiner neuen Residenz einen guten Geschmack. Hier, so hoch oben auf dem Hang, der steil zum Hafen hin abfiel, hatte man eine wunderbare Aussicht auf den Mündungsarm. Die Sterne spiegelten sich im Wasser, und einzelne helle Segel fingen das Mondlicht ein.
Wer immer sich der Burgmauer nähern würde, wäre schon von Weitem auszumachen. Etwas anderes hatte Alex auch
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