Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
nächsten Morgen dem Heer präsentierte!«
Der königliche Berater erhob sich ruckartig, wodurch er jäh an die stechenden Kreuzschmerzen erinnert wurde, die ihn schon seit einer geraumen Weile plagten und die er wahrscheinlich diesem allzu schiefen Hocker zu verdanken hatte. Er begann eifrig, in einigen Stapeln von Pergamenten zu wühlen. Als er nach einiger Zeit nicht fündig geworden war, legte er die Hand vor die Augen und dachte angestrengt nach. Schließlich schnippte er mit den Fingern und räumte entschlossen einen großen Bücherstapel zur Seite, der einen weiteren Stoß Pergamente verdeckt hatte. Mit schier unendlicher Geduld nahm er jedes einzelne Blatt in die Hand und prüfte kurz den Inhalt, bis er schließlich einen großen, abgegriffen aussehenden Pergamentstreifen gefunden hatte, der ein dickes Kreuz im oberen linken Eck trug. Mit einem zufriedenen Lächeln setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch.
»Vielleicht bringt mich das hier des Rätsels Lösung etwas näher«, murmelte er, während er die Zeilen überflog. Es handelte sich um einen schriftlich festgehaltenen Wachbericht, wie er während der Belagerung von Arch Themur jeden Morgen und Abend in jedem einzelnen Lager vom wachhabenden Offizier angefertigt worden war. Der Grund, warum dieser spezielle Bericht Abak schon früher aufgefallen war und weshalb er ihn auch mit dem Kreuz gekennzeichnet hatte, war der Umstand, dass Ecorim darin erwähnt wurde. Der Inhalt war hauptsächlich eher als langweilig zu bezeichnen, denn es wurde von der bedrückenden Nacht nach König Noran Karwanders Verbrennung berichtet, in der sich weder die Belagerten hinter den dunklen Mauern geregt hatten, noch die Belagernden zu irgendeinem Angriff fähig gewesen wären. Das einzige bemerkenswerte Ereignis jener Nacht war die Ergreifung einer Spionin aus der ehernen Feste durch die diensthabenden Wachen. Abak las sich die Stelle selbst laut vor:
»… so berichtete mir der am westlichen Eingang diensttuende Feldwebel Balduin Ehrenbrandt, dass seine Leute etwa eine Stunde nach Mitternacht eine junge Frau festnehmen konnten, die sich dort in einem Gebüsch versteckt gehalten hatte. Nach ihrer Ergreifung begann das Weib lauthals zu verlangen, zu unserem Heerführer Ecorim Erenor gebracht zu werden, was ihr jedoch verweigert wurde. Der Webel Ehrenbrandt vermutete aufgrund ihrer Bewaffnung, dass es sich um eine Spionin oder Attentäterin handeln müsse und dass unser Heerführer wegen solch eines Gesindels nicht in seinem Kummer über den Tod unseres Königs zu stören sei. Ein Schwert, das sie bei sich trug, wurde ihr abgenommen, ein schmuckloses Amulett wurde ihr gelassen, da es weder wertvoll noch bedrohlich wirkte. Auf ihr wiederholtes Flehen erklärte sich der Feldwebel bereit, dem Heerführer Erenor am nächsten Morgen eine Nachricht zu überbringen, die die Unbekannte in einer fremden Sprache niederschrieb …« Abak hielt inne. »Hm«, murmelte er vor sich hin, »was mag wohl der Inhalt dieser Nachricht gewesen sein? Wäre ich ein Spion oder gar ein Attentäter, würde ich dann meinem Opfer eine Nachricht zukommen lassen? Wohl kaum.« Abak traktierte wieder seinen Bart. »Und wieso in einer Sprache, die die Wachen nicht verstehen können, die Ecorim aber geläufig ist? Das hört sich eher nach dem Überbringen einer wichtigen, aber geheimen Botschaft an, einer Information über die eherne Feste vielleicht. Aber welche Information sollte das gewesen sein, die Ecorim am nächsten Morgen derart veränderte und ihn dazu veranlasste, den letzten Sturm auf Arch Themur zu führen? Der klassische Hinweis auf eine Schwachstelle in den Befestigungsanlagen war es keinesfalls, denn er musste den härtest möglichen Weg gehen und zunächst mit den wenigen Rammböcken, die er noch hatte, die verfluchten Tore überwinden. Die wichtige Nachricht lautete wohl kaum: ›In die eherne Feste gelangst du durch die Tore, benutze dazu die Rammböcke!‹« Der Greis kicherte in sich hinein, wurde jedoch gleich wieder ernst.
»Versetzen wir uns doch einmal in Ecorims Lage.« Abak erhob sich, diesmal behutsam, und begann auf und ab zu gehen. »Also, er ist verzweifelt, denn der König ist tot und die Moral seiner Truppen gebrochen. Was brauchte er jetzt am dringendsten? Neuen Mut, ein Symbol der Hoffnung und Stärke! Eben genau das Schwert des Königs, das er dem Heer als Zeichen seines ungebrochenen Kampfeswillens präsentieren könnte.« Abak schüttelte unwillig sein ergrautes Haupt.
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