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Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm

Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm

Titel: Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Rothballer
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eigentlich nicht mit dir, Junge?«, erkundigte sich das Narbengesicht kopfschüttelnd.
    Rai fand keine Worte. Eingeschüchtert starrte er sein Gegenüber an.
    »Du bittest ausgerechnet mich, dich vor Ulag zu beschützen?«, rief dieser fassungslos. »Ich hätte dich vor ein paar Tagen beinahe in den Schlund geworfen, und dann kommst du gerade zu mir, wenn du Hilfe brauchst?« In seinem verbliebenen Auge entzündete sich wieder das zornige Funkeln. »Hast du es noch nicht begriffen, du kleiner Narr? Hier unten gibt es keine Hilfe, von niemandem! Besser, du lernst das heute als morgen. Sei froh, dass ich dir nicht das Leben ausquetsche und dein Erz einfach so nehme. Das ist ungefähr das, was du von den meisten hier unten erwarten darfst. Und jetzt hau ab, bevor ich noch Gefallen an der Idee finde!« Damit drehte er sich um und ging weiter.
    Natürlich hatte Rai vorher gewusst, dass die Erfolgsaussichten dieses Plans so gering waren, dass man sein Vorhaben beinahe als Verzweiflungstat bezeichnen konnte. Trotzdem traf ihn eine solch derbe Abfuhr hart, zumal nun seine letzte Möglichkeit darin bestand, auf Ulags Vergesslichkeit zu bauen. Würde sich der Koloss noch an den vorlauten Wicht erinnern, der es gewagt hatte, ihn herauszufordern? Falls ja, war es gut möglich, dass Rai diese Konfrontation nicht überlebte. Aber ging er das Risiko nicht ein, so war sein Schicksal und das seines Freundes auf jeden Fall besiegelt. Was gab es also noch zu überlegen?
    Der Sack mit dem Erz darin schien sein Gewicht verdoppelt zu haben, als Rai seinen Weg in Richtung Eingangshöhle fortsetzte. Bald erreichte er den ersten großen Schlag, wo zwanzig oder mehr Sklaven gleichzeitig beschäftigt waren. Die zahlreichen Neulinge unter ihnen wurden durch den helleren Farbton ihrer Haut verraten, denn es brauchte seine Zeit, bis der rote Staub ihre Leiber so dicht ummantelte, dass sie wie die anderen Arbeiter farblich kaum mehr von der Felswand zu unterscheiden waren.
    In einem Winkel der Grotte lag der bleiche Körper eines Jungen, als wäre er dort versehentlich vergessen worden. Die knochigen Finger zuckten kaum wahrnehmbar, während seine unnatürlich großen Augen in stummem Flehen an jeder Gestalt haften blieben, die vorüberging. Rai konnte den Anblick dieser ausgezehrten menschlichen Hülle kaum ertragen. Es war schrecklich genug, dass er nicht helfen konnte. Was ihn aber nachhaltig erschütterte, war, dass ihm hier bildlich vor Augen geführt wurde, wie sein eigenes Schicksal aussehen könnte, wenn er nicht schnellstens etwas Essbares beschaffte. In Erwartung eines solchen Leids schien ein schneller, gewaltsamer Tod durch die Hand Ulags beinahe verheißungsvoll.
    Er beeilte sich, das makabere Schauspiel hinter sich zu lassen, und verließ die Höhle durch einen breiten Gang, von dem er wusste, dass er ihm noch durch drei weitere Kavernen folgen musste, jede ein wenig größer als die vorhergehende. Überall starrte ihn das gleiche Elend an. Wer arbeiten konnte, schlug mit dumpfer Monotonie auf die Steinwand ein, wer dazu zu schwach war, der vegetierte zwischen den Füßen der anderen dahin, lebte von der Hoffnung auf die Mildtätigkeit der Starken. In der größten Höhle der Westsohle, der letzten auf dem Weg zum Eingangsbereich, bekam er die Auswirkungen der unmenschlichen Knechtschaft in den Minen von Andobras schließlich am stärksten zu spüren. Da dies die Tageszeit war, in der die meisten Arbeiter aus den Tiefen der Stollen emporstiegen, um ihr geschlagenes Erz einzutauschen, hatten sich alle Sklaven, die nicht mehr genügend Kraft zum Schürfen aufbringen konnten, vor dem Zugang zur Haupthöhle versammelt. Zu Dutzenden kauerten die ausgemergelten Menschen auf dem Steinboden, von wo sie ihre mageren Arme emporstreckten und mit matter Stimme um etwas Erz oder Nahrung bettelten. Sie krallten winselnd nach Rais Beinkleidern, sodass er sich an manchen Stellen regelrecht hindurchkämpfen musste. Als er die Horde wimmernder Hungergestalten zur Hälfte durchquert hatte, verließ ihn seine Selbstbeherrschung, und er trampelte einfach rücksichtslos über sie hinweg. Dieses geballte Maß an menschlichem Leid war einfach zu viel für den jungen Tileter.
    Endlich langte er in der Eingangshöhle an. Im Vergleich zu der immer feuchten, abgestandenen Luft der Stollen schmeckte hier ein Atemzug wie ein frischer Bergquell, nachdem man tagelang aus demselben Wasserschlauch getrunken hatte. Obwohl es bereits gegen Abend ging, wurde Rai durch

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