Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm

Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm

Titel: Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Rothballer
Vom Netzwerk:
gehen. Was schlägst du also vor?«
    Rai traf diese Frage ziemlich unvorbereitet. Bislang war er voll und ganz damit beschäftigt gewesen, diesen Ort überhaupt lebendig zu erreichen. Wie er vorgehen sollte, wenn er erst einmal hier unten angekommen war, hatte er in keine seiner Überlegungen miteinbezogen.
    »Warum benutzt du nicht dein Seil, um herüberzuschwingen?«, improvisierte der Dieb mangels einer besseren Idee. »Jetzt kann ich dir ja leuchten.«
    »Du hast dir also nicht einmal überlegt, wie du mir helfen willst, als du dich auf deine Rettungsmission begeben hast«, bemerkte der Einäugige missbilligend. »Du riskierst dein Leben, ohne zu wissen, ob es sich überhaupt lohnt. Das ist einfach dumm.«
    »Wenn du keine Hilfe brauchst, kann ich ja wieder gehen«, konterte Rai. Narbengesichts schulmeisterliche Belehrungen waren nicht gerade die Art von Anerkennung, die sich der junge Tileter für sein Wagnis erhofft hatte. Möglicherweise war er diese Unternehmung etwas unbedacht angegangen, aber schließlich hatten zum wiederholten Male missliche Umstände dafür gesorgt, dass ihm keinerlei Zeit für einen ausgereiften Plan geblieben war, einmal abgesehen davon, dass er ohnehin meist zu einer eher spontanen Vorgehensweise neigte. Außerdem hätte ihm der unablässig steigende Wasserpegel im Schlund auch keine Zeit für längere Überlegungen gelassen, denn wäre er nur eine Viertelstunde später gekommen, wäre der Stollen des Einäugigen mit größter Wahrscheinlichkeit bereits in den Fluten versunken gewesen. Also konnte er sich nichts vorwerfen.
    »Wir haben keine Zeit für lange Reden!«, schrie Rai zunehmend erbost zu dem kaum auszumachenden Stolleneingang hinüber. »Entweder du kommst jetzt irgendwie auf meine Seite herüber, oder wir vergessen das Ganze. Mir ist es gleich!«
    »Wie du siehst, läuft genau über den Felsvorsprung, wo ich immer mein Seil befestige, ein ziemlich große Menge Wasser«, ertönte Narbengesichts gelassene Stimme. »Es ist auch mit Licht unmöglich, die Schlinge über die Felsnase zu werfen. So wird es nicht gehen.«
    Rai betrachtete den herabstürzenden Bach vor ihm und konnte dem Einäugigen nur recht geben. »Dann musst du springen!«, rief er entschlossen.
    Es folgte zunächst keine Antwort. Anscheinend dachte der Narbengesichtige über den Vorschlag nach.
    Schließlich drang ein abgehacktes Lachen an Rais Ohr, worauf er wieder die Stimme des entstellten Mannes vernahm: »Das ist ein genialer Plan! Bei schlechter Beleuchtung durch einen Wasserfall vier Schritt weit auf einen kaum einen Fuß breiten Sims springen. Warum bin ich darauf nicht selbst gekommen?«
    »Hast du eine bessere Idee?«, erkundigte sich der Dieb zornig.
    »Nein«, kam die prompte Erwiderung. »Die Götter wollen schließlich damit unterhalten werden, wie ihre kleinen Spielfiguren hier unten um ihr armseliges Leben kämpfen. Wir dürfen sie nicht um ihr Vergnügen bringen. Also machen wir’s so.« In diesen lästerlichen Worten des Narbengesichtigen schwang so viel Bitterkeit mit, dass Rai überdeutlich bewusst wurde, dass diesem Menschen wahrhaftig jeglicher Lebenswillen abhandengekommen war. Vor der endgültigen Kapitulation gegenüber einem unbarmherzigen Schicksal bewahrte ihn wohl nur sein Stolz.
    »Gut!«, rief Rai. »Ich werde die Laterne an die Abbruchkante des diesseitigen Simses stellen, damit du die Distanz abschätzen kannst. Versuch aber, sie nicht umzustoßen!«
    »Ich werde mich bemühen«, kam die sarkastische Antwort von der anderen Seite. »Und jetzt geh aus dem Weg!«
    Rai trat bis zu der Stelle zurück, wo der Sturzbach aus der Richtstrecke in den Schlund mündete. Die Anspannung ließ sein Herz pochen wie nach einer wilden Flucht vor der Tileter Stadtwache. Er traktierte seine Unterlippe mit den Schneidezähnen, während er angestrengt versuchte, etwas auf der anderen Seite des Simses zu erkennen. Eine schattenhafte Bewegung verriet ihm endlich, dass Narbengesicht Anlauf nahm. Nur einen Augenblick später brach dessen massiger Körper durch den Vorhang aus stürzendem Wasser. Ohne zu straucheln, landete er einen halben Schritt hinter der Lampe auf dem Sims. Doch hatte sein kraftvoller Absprung dem Einäugigen so viel Schwung verliehen, dass es ihm nicht gelang, auf der kurzen Strecke bis zur Gangöffnung abzubremsen. Mit nur wenig verminderter Wucht prallte er deshalb in den kleinen Tileter, der von dem viel schwereren Mann nach hinten gegen die Ecke des Stolleneingangs geworfen

Weitere Kostenlose Bücher