Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
beim ersten Sonnenlicht aufbrechen.«
Der junge Tileter musterte seinen unerwarteten Fürsprecher nachdenklich. »Was hat dich dazu gebracht, deine Meinung zu ändern?«, erkundigte er sich ein wenig misstrauisch.
»Wer sagt denn, dass ich meine Meinung geändert habe?«, entgegnete Kawrin und kratzte sich in seinem struppigen Bart.
Rai stutzte. »Als wir uns am See begegnet sind, hast du mir noch ausführlich erklärt, wie gefährlich und aussichtslos es ist, zum Bergwerk zurückzukehren, und nun legst du dich mit eurem Ältesten und der ganzen Gemeinschaft an, um mir zu helfen. Tut mir leid, das verstehe ich nicht.«
»Ich bin immer noch der Meinung«, erwiderte Kawrin, »dass dein Vorhaben gefährlich und aussichtslos ist, trotzdem gefällt mir deine Entschlossenheit. Außerdem …«, er zögerte einen Moment, »du hast etwas gesagt, das mich tief bewegt hat. Ich habe mir bereits öfter die Frage gestellt, warum Bajula mich gerettet hat, obwohl ich doch ihre größte Gabe, das Geschenk des Lebens, fortgeworfen habe. Du hast mir als Erster eine Antwort auf diese Frage geliefert. Du sagtest, dass Bajula nicht allein dein Wohl im Sinn hatte, als sie dir diesen Neuanfang gewährte. Da wurde mir klar, dass die ewig junge Göttin nur aus einem einzigen Grund mein Leben verschont hat: Sie hält noch eine Aufgabe für mich bereit. Sie will, dass ich etwas Sinnvolles anfange mit dem zweiten Leben, das sie mir gegeben hat. Vielleicht wollte sie, dass ich einem verrückten Tileter Bengel helfe, die Sklaven aus diesem verfluchten Bergwerk zu befreien. Vielleicht auch nicht. Jedenfalls werde ich es auf einen Versuch ankommen lassen.«
Rai war überwältigt. Er hatte nicht vermutet, dass seine Worte bei Kawrin eine so tief greifende Wirkung zeigen würden. Einen kurzen Augenblick sonnte er sich in dieser Tatsache, dann kehrten seine Gedanken zur Planung des bevorstehenden Unternehmens zurück. Eine fieberhafte Vorfreude erfüllte ihn, da er endlich wieder seiner Profession nachgehen konnte und diesmal sogar noch zu einem guten Zweck.
Freundschaftlich legte er Kawrin, der ihn um beinahe zwei Köpfe überragte, die Hand auf die Schulter. »Wie es scheint, habe ich mich in dir getäuscht«, sagte er grinsend, »du bist gar kein Feigling.«
Der bärtige Fendländer erwiderte sein Lächeln: »Und ebenso habe ich mich in dir getäuscht. Du bist nicht verrückt, nur unglaublich anmaßend.«
»Nun gut«, meinte Rai mit einem Augenzwinkern, »nachdem wir das jetzt geklärt haben, können wir zur Vorbereitung übergehen. Kannst du dich noch erinnern, wie tief es hinabging, als du in den Schlund gesprungen bist?«
»Vielleicht zehn oder fünfzehn Schritt.«
»Und wie ging es dann weiter?«, fragte Rai nach. »Ich kann mich nämlich nicht mehr wirklich an den Weg nach draußen erinnern.«
»Ich bin mitten in einem Fluss gelandet, der so eiskalt war, dass mir die Luft wegblieb. Die starke Strömung hat mich nach unten gezogen, und erst eine ganze Weile danach – mir kam es wie eine Ewigkeit vor – habe ich dann einen hellen Fleck gesehen. Darauf bin ich zugeschwommen und letztlich im See des zweiten Lichts aufgetaucht. Der Fluss muss wohl einige Schritt unterhalb der Oberfläche in den See münden.«
»Deswegen ist das Wasser im See so unglaublich ruhig«, bemerkte der Dieb gedankenverloren. »Aber wenn ich sogar ohnmächtig irgendwie an Land gespült wurde, sollte dieser Teil unseres Fluchtweges eigentlich nicht das entscheidende Problem darstellen. Aber du hast vorhin gemeint, dass nicht jeder den Sprung in den Schlund überlebt hat. Warum nicht?«
»So genau kann ich dir das auch nicht sagen, schließlich wollte ich mich umbringen und nicht den Grund des Schachts erforschen. Demnach habe ich mir auch nicht die Mühe gemacht, eine Kerze mitzunehmen.« Ein Anflug von Verlegenheit ließ den Blick des blonden Seewaithers zu Boden gleiten. »Aber es werden im See des zweiten Lichts auch immer mal wieder Leichen angespült, deshalb vermute ich, dass es am Grund des Tränenbrunnens überall Felsen im Wasser gibt. Wer Pech hat, landet nicht im Fluss, sondern auf einem solchen Findling.«
»Das heißt also«, überlegte Rai laut, »dass ich es nicht riskieren kann, mit den Arbeitern einfach hinabzuspringen. Somit brauchen wir ein etwa fünfzehn Schritt langes Seil. Habt ihr so was?«
»Wir haben sogar etwas Besseres«, verkündete Kawrin stolz. »Wir nennen es Galgenstrick!« Als er das erschrockene Gesicht des kleinen Tileters
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