Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
viel Heldenmut«, theatralisch legte der kleine Dieb seinem größeren Begleiter die Hand auf die Schulter, »aber es genügt, wenn du ein Feuer machst. Für manch einen ist das ja schon eine Herausforderung.«
»Ach, dafür musste ich also den Feuerstein und die getrocknete Birkenrinde mitschleppen.« Kawrin überlegte kurz. »Du willst die Soldaten also mit einem Feuer irgendwo in Richtung Hafen ablenken, richtig?«
»So ist es, mein aufmerksamer Lehrling«, erwiderte der kleine Dieb feixend. »Sie müssen es vom Turm aus sehen können, aber es muss auch weit genug weg sein, dass es eine Weile dauert, bis sie herausgefunden haben, was da brennt. Es soll wirklich nur eine Zeit lang ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen, damit ich unten freie Bahn habe. Alles klar?«
»Ja, ja, schon gut. Aber jetzt sag mir bitte noch eines: Was willst du denn in diesem Vorratslager?«
»Das, mein guter Kawrin, darf ich dir leider nicht sagen«, entgegnete Rai mit übertriebenem Bedauern in der Stimme.
»Und wieso nicht?«, fragte der Fendländer ungehalten.
»Wenn sie dich erwischen, kannst du so auch unter der Folter nicht verraten, was ich vorhabe.« Rai sprach diese Worte unbeschwert, eigentlich wie im Spaß, dennoch entbehrte diese Vorsichtsmaßnahme durchaus nicht jeglicher Grundlage. Tatsächlich war es in seinem Gewerbe so üblich, dass man eventuellen Partnern oder Gehilfen nur so viel verriet, wie sie unbedingt für die Erfüllung ihrer Aufgabe wissen mussten. Nur war bislang immer Rai derjenige gewesen, dem nicht alle Einzelheiten mitgeteilt wurden, und deshalb genoss er nun das erhebende Gefühl, erstmals der Kopf eines solchen Unterfangens zu sein. Diesmal kannte nur er alle Einzelheiten des Plans, und nur er konnte entscheiden, wie viel er verraten wollte.
Kawrin, der die Bemerkung offensichtlich ziemlich ernst genommen hatte, schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, warum ich das mache. Ich muss noch verrückter sein als du.« Mit diesen Worten trabte er los, um seine undankbare Aufgabe weisungsgemäß auszuführen.
Für Rai bedeutete dies warten und beobachten. Obwohl weder auf den Zinnen des Turms noch am Förderkorb irgendetwas Ungewöhnliches geschah, kreiste dennoch die Aufregung wie ein gefangenes Tier durch seine Adern. Diesen Nervenkitzel hatte er so sehr vermisst in der öden Finsternis des Bergwerks, dass er nun seine Ungeduld kaum unter Kontrolle halten konnte. Endlich bekam er wieder die Gelegenheit, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Er würde die Knechtschaft in den Minen von Andobras beenden und sich die ewige Dankbarkeit der befreiten Sklaven erwerben, da war er sich sicher. Das Hochgefühl, welches sich bei diesen Überlegungen einstellte, ließ keinen Raum für Gedanken an Gefahr oder Scheitern. Es konnte – nein, es durfte nicht misslingen.
Nach einer nicht enden wollenden Zeitspanne entdeckte Rai schließlich ein mattes Leuchten auf der entgegengesetzten Seite der Senke. Der winzige Lichtpunkt war am Waldrand in der Nähe des Weges zum Leben erwacht und zuckte nun unstet, als wolle er jeden Moment wieder ersterben. Doch stattdessen gewann das ferne Glimmen zunehmend an Kraft, bis nach einer Weile lodernde Flammenzungen weit in den nachtschwarzen Himmel schnellten. Jetzt kamen auch die Soldaten auf der Turmspitze nicht mehr umhin, das Feuer zur Kenntnis zu nehmen. Rai hörte ein paar militärisch abgehackte Rufe von den Turmzinnen, denen schon bald geschäftiges Treiben im Turminneren folgte. Wenig später verließ ein Trupp von etwa zehn gerüsteten Gardisten den Wachturm, um herauszufinden, was dort so unvermittelt in Brand geraten war oder vielmehr durch wen. Die Soldaten auf der Turmspitze waren zwar weiterhin auf ihrem Posten, jedoch schien ihre Aufmerksamkeit, soweit erkennbar, dem Feuer zugewandt zu sein. Das Ablenkungsmanöver hatte funktioniert.
Ohne zu zögern, warf sich Rai das mitgebrachte Seil über die Schulter und lief los. Diesmal setzte er weniger auf sorgfältige Deckung als auf Geschwindigkeit. Da er nun den direkten Weg zur Rückseite des Turms gewählt hatte, wo es ohnehin kaum Felsen oder Sträucher gab, die ihm Schutz gewährten, würden ihn die Turmwachen bei einem Blick auf die abschüssige Fläche hinter dem Gebäude in jedem Fall entdecken. Deshalb hielt er es für klüger, diesen gefährlichen Teil der Strecke möglichst rasch hinter sich zu bringen, ohne dabei auf übermäßige Heimlichkeit zu achten. Geduckt hastete er den Felshang hinab und hoffte dabei
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