Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
ist ein Ort der Wunder!«
»Da kann ich nur zustimmen«, bestätigte Rai. »Mich wundert es, dass hier nicht schon längst die Händler vom Hafen aufgetaucht sind, um sich diesen Schatz zu sichern. Steinöl wird dort, wo ich herkomme, viel höher gehandelt als Erz. Und bei dem schwarzen Morast da unten in dem Tümpel handelt es sich, wenn mich nicht alles täuscht, um bestes Pech. Das könnte man zum Abdichten von Schiffsrümpfen und Hausdächern verwenden. Eine wahre Goldgrube!«
»Du darfst nicht vergessen«, erinnerte ihn Kawrin, »dass dieses Gebiet sehr abgelegen und unwegsam ist. Immerhin trennen uns ein ganzer Gebirgszug und dichter Wald von der nächsten Siedlung. Außerdem kursieren bei den Inselbewohnern die wildesten Gerüchte über diesen Teil von Andobras. Man munkelt, es gäbe hier Geister. Manche faseln sogar etwas von Drachen. Wahrscheinlich ist das auf Xelos’ Flammenwächter zurückzuführen, den man bei klarem Wetter auch von vorbeifahrenden Schiffen aus erkennen kann. Besonders bei Nacht sieht das äußerst unheimlich aus. So bewahrt der Gott sein Heiligtum vor den gierigen Klauen der Händler.«
»Und du hast keine Angst«, wandte Rai ein, »dass Xelos es dir übel nehmen könnte, wenn du das Öl aus seinem Heiligtum entwendest?«
»Ich erfülle nur den Willen Bajulas«, antwortete Kawrin, wobei das verschmitzte Grinsen auf seine Lippen zurückkehrte, »wenn das dem Herrn der Unterwelt nicht gefällt, dann sollen die Götter das unter sich ausmachen. Ich bin nur ein Werkzeug. Und wer würde es schon dem Hammer ankreiden, wenn dem Schmied ein Schlag danebengeht?«
Es stellte sich als unerwartet schwierig heraus, das dickflüssige Öl durch die enge Öffnung in die Wasserschläuche zu füllen. Erst als Rai auf den Gedanken kam, zusammengerollte Blätter aus dem Wald als Trichter zu benutzen, kamen sie schneller voran. Schließlich hatten die beiden in den fünf Schläuchen ausreichend Steinöl gesammelt, um sich wieder auf den Weg zurück ins Lager der Waldbewohner zu machen. Kawrin wählte diesmal jedoch einen kaum erkennbaren Pfad etwas weiter nördlich, weil er, wie er sagte, auf dem Rückweg noch eine ganz bestimmte Stelle im Wald aufsuchen wolle, wo er die geeigneten Gefäße für ihre Brandgeschosse zu finden hoffe.
Mittlerweile war bereits später Nachmittag, und die Strapazen des Tages begannen, ihren Tribut von Rai zu fordern. Seine Laune verschlechterte sich zunehmend, sein Magen verlangte energisch nach Nahrung, und seine Beine wurden mit jedem Schritt schwerer. Endlich erreichten sie eine Region des Waldes mit einer Baumart, deren Stamm sich bereits einen Schritt über dem Boden vielfach verzweigte und so mit den umstehenden Bäumen ein undurchdringliches Dickicht bildete. Die dicht stehenden, zungenförmigen Blätter dieser buschartigen Gewächse ließen kaum einen Lichtstrahl zum Boden durchdringen. Ein eigenartiger, süßlicher Verwesungsgeruch lag in der Luft, dessen Ursprung auf den ersten Blick nicht auszumachen war.
Rai wollte gerade seinem Unmut über den sinnlosen Umweg zu einem solch übel riechenden Gestrüpp Luft machen, als Kawrin sich auf alle viere niederließ und zwischen die dicht stehenden Bäume hineinkroch. Als der Tileter dem blonden Haarschopf nachblickte, wie er im Unterholz verschwand, entdeckte er dabei zahlreiche dunkelrote, spindelförmige Früchte am Boden liegen, die zum Teil bereits angefressen oder mehr oder weniger stark verrottet waren. Wahrscheinlich ging von ihnen der ekelerregende Gestank aus. Als Rai daraufhin nochmals hinauf in die Äste der dicht belaubten Bäume blickte, stellte er fest, dass auch dort die blutroten Spindelfrüchte hingen, jedoch waren sie ihm zunächst zwischen dem üppigen Grün der Blätter gar nicht aufgefallen. Im selben Moment tauchte auch Kawrin wieder auf, in seiner Hand hielt er eine noch vollkommen intakte Frucht, die etwa so lang war wie sein Unterarm.
»Hier haben wir unsere Wurfgeschosse«, sagte der hochgewachsene Fendländer vergnügt.
»Du willst das Öl in diese stinkenden Schoten füllen?«, erkundigte sich Rai entgeistert.
»Warum denn nicht?«, fragte Kawrin zurück. »Diese Frucht ist innen hohl. Wenn wir oben ein kleines Loch hineinbohren, können wir sie mit dem Steinöl befüllen. Dann stopfen wir einen ölgetränkten Stofffetzen in die Öffnung, zünden ihn an und …« Kawrin holte aus und schleuderte die rote Frucht gegen den nächsten Baumstamm, wo sie zerplatzte wie ein rohes Ei. »Das gibt
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