Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
Ich meine, wir haben doch fast nichts gestohlen! Es sei denn …« Rai betrachtete nachdenklich das dunkle Schwert, das er links unter den Gürtel geschoben hatte. Es glänzte kaum, obwohl es direkt von der Sonne beschienen wurde.
»Du glaubst, dass das Schwert vielleicht doch wertvoller ist, als es den Anschein hat«, vollendete Barat Rais Gedankengang.
»Könnte doch sein, meinst du nicht?« Rai hob fragend die Augenbrauen.
Barat zuckte nur die Schultern und schwieg.
»Weißt du, was ich mich die ganze Zeit frage?« Rai schaute seinen Freund erwartungsvoll an. Als dieser nicht reagierte, fuhr er unbeirrt fort: »Was hatte dieser seltsame Kerl genau in dieser Nacht im Palast zu suchen? Vielleicht war das gar kein Zufall. Vielleicht hat er nur gewartet, bis sich ihm eine Gelegenheit bot, um hineinzugelangen.« Er machte eine kurze Denkpause. »Und wie hat er die Tür aus den Angeln gehoben? Eine Flamme, ein lauter Knall, und die Tür segelte wie ein Laubblatt durch die Schatzkammer! Und was war er überhaupt? Doch kein Mensch, oder?«
»Welch einen gewichtigen Haufen an Fragen unser kleiner Rai mit sich herumschleppt! Anscheinend habe ich das Fassungsvermögen deines Gehirns doch unterschätzt«, spottete Barat mit einem leisen Lachen.
Rai bekam einen roten Kopf und baute sich drohend vor seinem Gefährten auf. »Hör endlich auf, über mich zu lachen«, brüllte er, »das ist noch niemandem gut bekommen!« Rai war um einiges kleiner als Barat, sodass er diesen von unten her wütend aus seinen dunklen Augen anblitzte.
Davon unbeeindruckt begegnete Barat dem strafenden Blick seines jungen Freundes mit völliger Gelassenheit. »Mein lieber Rai, dein Zorn brennt wie die Sonne über Etecrar! Doch spare dein Feuer für das, was uns erwartet. Trotzdem entschuldige ich mich hiermit für meinen Spott, es ist wahrlich an der Zeit, nun Frieden zu geben.« Er räusperte sich, als wären ihm diese Worte unangenehm. Im Weitergehen fuhr er fort: »Ich weiß auf all diese Fragen keine Antwort. Doch ich denke, diese schwarzen Kerle werden uns keine Probleme mehr bereiten.«
»Du hast ›diese Kerle‹ gesagt! Es gibt also mehrere? Dann weißt du doch etwas!«
»Verflucht sei deine ewige Neugier. Ja, ich weiß etwas! Doch es genügt vollkommen, dass dieses Wissen mir schlaflose Nächte bereitet. Außerdem kümmere dich lieber darum, wie wir ohne Geld etwas zu essen bekommen! Da vorn müsste bald das nächste Dorf zu sehen sein, und es geht schon auf Mittag zu.«
Sie waren unterdessen auf der Küstenstraße ein ganzes Stück nach Norden gewandert. Neben ihnen fielen noch immer jäh die felsigen Klippen ab. Mittlerweile hatte eine leichte Brise die restlichen Nebelschwaden aufs Meer hinausgetrieben, sodass die ruhige See das Sonnenlicht glitzernd widerspiegelte. Etwas weiter landeinwärts begannen die lichten Pinienwälder, die an Citheons Küsten vorherrschten. Der Wind rauschte leise in den Baumkronen, was außer dem krächzenden Ruf eines Raben der einzige Laut war, den die beiden Wanderer vernahmen. Da der Wind vom Land her kam, war nicht einmal das sonst allgegenwärtige Geschrei der Möwen vom Meer zu hören. Gerade als Barat zu Ende gesprochen hatte, tauchten hinter einer leichten Erhebung, die die Straße in sanftem Anstieg hinaufführte, die Dächer eines kleinen Dorfes auf.
Als sie auf Höhe der ersten Häuser angekommen waren, konnten die beiden erkennen, dass die Ansiedlung aus nicht mehr als zehn Gebäuden bestand. Der Geruch von verdorbenem Fisch und das Geschrei eines Schwarms Möwen, die sich hinter einer Hütte um die Reste zahlloser Meerestiere zankten, verrieten sofort, dass sich hier hauptsächlich Fischer niedergelassen hatten. Doch selbst im kleinsten Küstennest durfte ein Gasthaus nicht fehlen. So trug auch hier ein stattliches Gebäude, das sogar mit einem zweiten Stockwerk versehen war, in großen, hölzernen Lettern die Aufschrift: »Gasthaus zum Seeteufel«. Die beiden hungrigen Wanderer hätten normalerweise ohne Zögern auf dem direkten Weg den Schankraum angesteuert, doch beiden war sofort aufgefallen, dass das Dorf ungewöhnlich ausgestorben wirkte. Die Läden der meisten Hütten waren verschlossen, und nur aus dem Kamin des Gasthauses stieg Rauch auf.
»Tja, dieses Dorf ist so lebendig, wie es riecht«, meinte Rai mit einem Schnauben.
Barat antwortete nicht gleich, sondern blickte aufmerksam von Haus zu Haus. »Das gefällt mir nicht! An so einem schönen Tag müssten wenigstens die Kinder
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