Vermächtnis des Pharao
ein Klatschen, ein Schlagen wie von Paddeln, doch die beiden Geräusche waren eins.
Er sehnte sich nach der Stille von vorher, aber der Lärm ließ ihn nicht dorthin zurückkehren. Um ihn auszublenden, spannte er seine Augenmuskeln. Hundert Schritt weit vor ihm knarrten Winden, schlossen sich massive Türen. Ockergelbe Sonnen zerbarsten vor seinen Augen, und dazwischen baumelte ein Mann am Ende eines Spießes. Meilenweit darunter begannen seine Lippen sich zu bewegen. Ein übler Geschmack, aber auch Kühle. Die Worte - Augen, Lippen - kamen ihm vor wie Neuentdeckungen. Dann atmete er. Aber das Atmen tat weh. Es war auch zu anstrengend. Wenn nur das Rauschen ihn zurücksinken ließe. Es hatte keinen Zweck. Er war wieder bei Bewußtsein, und er mußte sich dem Schmerz stellen. Wenn ihm nur Zeit blieb, ihn zu überwinden, ehe neue Gefahr drohte. Er bewegte sich vorsichtig - neue Entdeckungen: Arme, Beine, eine Hüfte - aber alles zu weit weg, um darüber nachzudenken. Entlegen, nicht Teil von ihm, nicht wirklich. Aber als er sich bewegte, bohrten sich hunderttausend eisige Nadeln durch seine Stirn, durch seine Schädeldecke, und ein Beutel voll Galle wogte in seinem Magen. Seine Schädeldecke - am liebsten hätte er sie abgerissen, um Luft hineinzulassen: Das wäre eine Erleichterung.
Er wußte, daß er sich halb auf einem Arm hochgestemmt hatte, aber jetzt saß er fest. Gern hätte er sich zurücksinken lassen, aber die Schmerzen jeder Bewegung waren unerträglich. Sein ganzer Körper würde platzen, und alles würde herausrinnen. In seinem Kopf hämmerte es und mächtige Schmerzensschreie hallten mit jedem Schlag des fernen Mühlwerks dröhnend darin. Es war, als hätten die Einbalsamierer schon das Siebbein durchbrochen und ihre dünnen Haken durch die Nasenlöcher in die Schädelhöhle hineingebohrt, um das Gehirn herauszuziehen. Er versuchte, durch die Nase zu atmen, doch sie war verklebt. Einen Moment lang überwog die Panik den Schmerz, doch dann entdeckte er den Mund wieder und atmete durch ihn, ohne hastiges Luftschnappen, langsam.
Ein, zwei Augenblicke, und sein Herz begann zaghaft, gleichmäßiger zu schlagen. Sein Körper sammelte sich wieder darum herum, und er stand in seiner eigenen Mitte. Ich werde hier bleiben, dachte er, bis etwas passiert. Wenn nichts passiert, bleibe ich für immer hier. So mach ich’s. Das ist auf alle Fälle besser als vorher. Unterdessen suchten sein Herz und sein Gedächtnis nach den letzten Fetzen der heulenden Träume, die ihn erfüllt hatten - wie lange eigentlich? Es schien, als seien mehrere Menschenleben vergangen, seit er zu Ramoses Grab hinaufgestiegen war.
Wieder verging eine Minute, und er erkannte, daß seine Arme und sein Rücken zwar noch den Druck von Stein und Felsen spürten, daß er jetzt aber auf etwas Weicherem lag und daß ihn auch etwas Weiches bedeckte. Er konnte keine Richtungen unterscheiden, aber wenigstens schwebte er nicht mehr in einem Nichts, wo die Kreaturen der Grube mit ihren Zähnen an ihm zerrten.
Da war noch etwas. Etwas, das nicht zu ihm gehörte, sondern außerhalb war.
Eine Berührung.
Sie wurde zu einer kühlenden Hand auf seinem Arm. Sanft ruhte sie dort, und ihr Druck war gerade fest genug, um zu sagen: Ich bin hier.
»Aahmes...«Er wußte nicht, ob er die Kraft haben würde, die Augen zu öffnen. Ganz langsam entspannte er sie. Die explodierenden Sonnen waren verschwunden. Durch die korallene Membran der Lider sah er echtes Licht.
Jemand rief ihn. Sanft, behutsam, sagte seinen Namen. Aber noch immer bekam er die Augen nicht auf. Er mußte herausbekommen, wo er war und bei wem. Ganz sanft bewegte sich die Hand auf seinem Arm, streichelte ihn, beruhigte ihn. Eine zweite Hand berührte seine Stirn, und in der Bewegung des Körpers, den er jetzt deutlich dicht neben sich spürte, verströmte der köstliche Duft von Seschen.
Er blinzelte. Das Licht im Zimmer war gedämpft; trotzdem fuhr es ihm kreischend in die Pupillen und versengte seine Netzhaut. Die gefrorenen Nadeln waren wieder da und stachen wie rasend auf ihn ein. Er griff nach der Hand, die auf seinem Arm gelegen hatte und umklammerte sie so fest, als hänge sein Leben davon ab, daß er die Gewalt über sich bewahrte, und der Griff der fremden Hand war nicht minder fest.
Als der Raum aufgehört hatte zu schaukeln und das Kreischen in seinem Schädel zu einem dumpfen, aber erträglichen Pochen geworden war, als das Bett wahrscheinlich nicht mehr schwanken und ihn zu Boden
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