Vermächtnis des Pharao
Zimmer hier hatte schlichte, weißgekalkte Wände. An einem Haken neben der Tür hing ein Mantel, und auf einem niedrigen Tisch lagen zwei oder drei ungebrauchte Papyrusrollen und Huys Schreibpalette, die mit einer feinen Staubschicht bedeckt war. Zwei Stühle standen ordentlich nebeneinander. Das obere Zimmer enthielt ein Bett und einen zweiten Tisch. In einem Alkoven fanden sich vier saubere, gefaltete Leintücher, und auf dem Boden darunter stand ein Paar sehr abgetragener Sandalen aus geflochtenen Palmblättern.
Nach dem Dämmerlicht im Haus ließ der Sonnenschein auf der Straße sie blinzeln, aber sie hatte sich rasch genug an das helle Licht gewöhnt, um den Mann, der an der Ecke des Hauses gegenüber gestanden hatte, flink dahinter verschwinden zu sehen. Seine schnellen Bewegungen verrieten ihr, daß es kein Zufall war, und sie folgte ihm. Der Mann war groß und auch im Gedränge leicht im Auge zu behalten. Gleichzeitig konnte sie selbst weit Zurückbleiben, um nicht seinen Verdacht zu erwecken. Dies allerdings schien eine unnötige Vorsichtsmaßnahme zu sein, denn er drängte, ohne sich umzusehen, hastig voran, und ihr kam der Gedanke, er könnte in diesem Geschäft ein ebensolcher Amateur sein wie sie selbst.
Als sollte ihr das Gegenteil bewiesen werden, sah sie sich an der nächsten Biegung von einem
Ochsenkarren aufgehalten, der, schwer beladen mit Fisch, über einen kleinen Platz rumpelte, wo vier Straßen zusammentrafen. Sie roch den Fischgestank der Männer, die den Karren zum Pökelschuppen begleiteten. Danach konnte sie ihr Wild nirgends mehr entdecken. Ihre Enttäuschung war größer als vermutet, aber statt aufzugeben, folgte sie ihrem Instinkt und eilte die Straße hinunter, die zum Fluß führte. Im Gedränge der Menschenmenge, die immer dichter wurde, je näher sie dem Kai kam, sah sie sich belohnt: Sie entdeckte den Mann wieder. Sein Kopf überragte fünfzig Schritt vor ihr das Menschenmeer.
Sie handelte sich einen oder zwei Flüche ein, als sie sich mit Hilfe der Ellbogen einen Weg zur Straßenmitte bahnte. Hier kam sie schneller und freier vorwärts und mußte nur gelegentlich den Karren oder einer Rikscha ausweichen. So konnte sie den Mann im Auge behalten. Am Wasser angekommen, wandte er sich nach links und eilte geradewegs an den Docks entlang, wo die Barken be- und entladen wurden, zum Anlegeplatz der Fähre.
Hier war das Treiben noch größer, und Aset befürchtete, nicht unbemerkt an Bord derselben Fähre zu kommen wie der Mann. Flüchtig fragte sie sich, ob er sie wohl erkannt hatte oder nur davongerannt war, weil er jemand aus Huys Haus hatte kommen sehen. Er schien ihr nicht dorthin gefolgt zu sein. Huy hatte sie im Laufe ihres Zusammenseins gelehrt, auf solche Dinge zu achten.
Schlangen von drängenden, gestikulierenden Menschen warteten auf eine verwirrende Vielzahl von Fähren. Aset war es gewohnt, in ihrer eigenen Sänfte zu reisen, und hatte keine Ahnung, wohin die einzelnen Boote fuhren, ob ans Westufer, stromauf- oder stromabwärts. Die Fährschiffer riefen zwar offenbar ihre Strecken aus, aber ihre Stimmen ertranken im Trubel der Menge, und sie traute sich nicht, jemanden zu fragen. Diese Leute, unter die sie sich mit Huy zusammen gern mischte - was sie für abenteuerlich hielt -, machten ihr Angst, wenn es darum ging, mit ihnen zu sprechen. Sie rochen nach Schweiß, nach Fisch, nach ranzigem Öl, nach Schwefel und nach dem Fluß. Ihre Kleider waren schlammfarben und schmutzig. Hinter ihnen dümpelten die kleinen schwarzen Fährboote mit ihren kipplig festgezurrten dreieckigen Segeln schwindlig auf dem Hochwasser des Flusses - der ungefährlich war, das wußte sie, und gebändigt von Mauern, die zur Zeit ihres Ururgroßvaters erbaut worden waren, höher als der höchste bekannte Flutwasserpegel, aber trotzdem einschüchternd in seiner Macht, wie ein Riesenmuskel.
Der große Mann hatte sich an die Spitze einer Warteschlange manövriert. Ungefähr fünfzehn Leute trennten sie von ihm, aber ebensogut hätte er schon auf der anderen Seite des Flusses sein können.
»Entschuldigung«, sagte Aset zu den Umstehenden und versuchte, ihre Stimme rauh klingen zu lassen, »kann ich mal durch?«
»Wieso?« frage eine mürrische fette Frau vor ihr und stieß sie zurück.
»Das ist mein Bruder - ich bin von ihm getrennt worden«, improvisierte Aset verzweifelt.
»Wo ist er denn?«
»Da drüben.«
»Na los, laß das arme kleine Weib doch durch. Sie steht doch gar nicht für unser
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