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Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Titel: Vermächtnis des Schweigens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Gudenkauf
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fragt Claire. „Woher wissen Sie, dass sie das Mädchen ist? In der Zeitung stand nie, wer sie ist.“ Ihr Blick bleibt an mir hängen. Sie will nicht glauben, was Reanne sagt, aber ich höre den Zweifel in ihrer Stimme. „Du kannst unmöglich das Mädchen sein.“
    „Es war nicht schwer herauszufinden. Ich wusste, dass ich ihren Namen schon mal gehört habe, und dann fiel es mir ein. Ich kenne jemanden, der in Cravenville arbeitet. Sie hat mir alles über sie erzählt.“ Reanne dreht sich zu mir um und sagt barsch: „Du hattest ein kleines Mädchen und wolltest es nicht, also hast du es in den Fluss geworfen.“
    „Mom, halt den Mund“, fleht Charm.
    „Allison?“, fragt Claire mich ungläubig. „Ist das wirklich so gewesen? Hast du das getan?“
    Weinend nicke ich. „Ich kann es erklären.“

BRYNN
    Ich sitze im Badezimmer auf dem Rand der Badewanne. Joshua liegt auf der Couch und schläft tief und fest. Ich höre sie unten, das Schreien und Brüllen, und halte mir die Ohren zu. Doch das nützt nichts, sodass ich schließlich den Wasserhahn andrehe. Das Wasser strömt aus dem Hahn und übertönt das Geschrei.
    Das Rauschen des Wassers erinnert mich an das Geräusch des Regens, der in jener Nacht fiel und hart gegen die Fenster schlug.
    Als ich wieder nach oben kam, habe ich Joshuas kleine Schwester angeschaut. Sie war so still und ruhig. „Nein“, flüsterte ich. „Oh nein.“
    „Was?“, murmelte Allison erschöpft und versuchte, den Kopf zu heben, um sehen zu können, was ich meinte.
    „Oh Allison“, sagte ich traurig. „Du musst dir keine Sorgen mehr machen.“ Und noch während ich sprach, wusste ich, dass Allison über dieses Ergebnis erleichtert sein würde. Nicht glücklich, das meine ich nicht, aber erleichtert. Ich stand eine ganze Weile da und wusste nicht, was ich tun sollte. Endlich sprach ich, auch wenn ich nicht wusste, ob sie mich überhaupt hörte. „Ich kümmere mich darum“, sagte ich und steckte eine zweite Decke fest um ihren zitternden Körper. Dann hielt ich ihr eine Wasserflasche an die Lippen. „Ich bin in ein paar Minuten zurück.“
    Weinend beugte ich mich hinunter, um das reglose Baby aufzuheben. Es war zu spät. Auf wackligen Beinen machte ich mich auf den Weg die Treppe hinunter. Ich versuchte, meinen Blick auf alles zu richten, nur nicht auf das Baby in meinen Armen. Ich ging durch das Wohnzimmer, in dem Fotos die Geschichte unserer Kindheit erzählten. Allison und ich waren gleich oft zu sehen – bis Allison dreizehn wurde. Da war sie bereits eine ausgezeichnete Schwimmerin, Fußballerin, Turnerin, ein Ass in der Schule. Die Wand war voll mit Bildern, auf denen Allison verschiedene Auszeichnungen, Pokale und Trophäen in Händen hielt. Auf jedem Foto lächelte sie bescheiden, einen „Ach, ist doch nicht so wild“-Ausdruck im Gesicht.
    Aber die Fotos haben nicht die Hintergründe erzählt. Sie zeigten nicht, dass Allison in der Minute, bevor der Schnappschuss gemacht worden war, ihrer Fußballgegnerin den Ellbogen so hart in die Rippen gestoßen hatte, dass sie beide blaue Flecken davontrugen. Oder dass sie ihren neun Jahre alten Klassenkameraden so intensiv angeschaut hatte, dass der ganz verlegen wurde und Leukoplast falsch buchstabierte – ein Wort, das er normalerweise im Schlaf aufsagen konnte. Nicht, dass Allison je betrogen hätte – das hatte sie nicht nötig –, aber sie war auf eine Art einschüchternd, die den Menschen gefiel, zu der sie sogar ermutigt wurde. Für ihre Lehrer war sie eine Ausnahmeschülerin, wie es sie nur alle hundert Jahre mal gibt. Die Mädchen waren eifersüchtig, fühlten sich deswegen aber schuldig; die Jungen fanden sie wunderschön, aber unerreichbar. Meine Eltern dachten, sie wäre perfekt.
    Ich habe nie geglaubt, dass Allison perfekt ist, auch wenn ich ihre Entschlossenheit und ihren Tatendrang bewunderte. Aber ich wusste etwas, was alle anderen zu übersehen schienen – dass meine Schwester ein Mensch war. Dass sie sich vor jeder großen Prüfung übergeben musste. Dass sie sich zwang, jeden Abend vor dem Zubettgehen einhundertfünfzig Sit-ups zu machen. Dass sie so schlimme Albträume hatte, dass sie sich nachts in mein Zimmer schlich und zu mir ins Bett krabbelte. Damals hatte ich gedacht, dass die schlechten Träume endlich aufgehört hatten, sie zu verfolgen, weil sie seit Monaten nicht mehr zu mir gekommen war. Aber jetzt wusste ich, warum. Sie wollte nicht, dass ich ihre Schwangerschaft entdeckte.
    In den Monaten

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