Vermächtnis des Schweigens (German Edition)
die Kleine eingewickelt hatte. Sie schien nach irgendjemandem greifen zu wollen. „Ich bin gleich wieder da.“ Mit dem Müllbeutel in der Hand rannte ich die Treppe hinunter. Ich wusste, dass ich nur wenig Zeit hatte, um Allisons Zimmer in Ordnung zu bringen und Allison und das Baby in ein Krankenhaus zu schaffen. Ich wusste, es würde schwer werden, Allison davon zu überzeugen. Sie befand sich ganz offensichtlich in einer Phase des Leugnens, stand unter Schock, was weiß ich. Ich denke, sie war überzeugt, solange sie das Baby nicht anschaute, war es auch nicht real.
Entschlossen zerrte ich den Müllbeutel durch die Küche in die Garage und stopfte ihn tief in eine der großen Mülltonnen. Ich drückte ihn so weit hinunter, wie ich nur konnte, und häufte dann anderen Müll darauf, um ihn zu verbergen. Aus dem Haus hörte ich das Schrillen des Telefons. Ich zögerte. Vielleicht waren das meine Eltern; sie hatten noch immer den Drang, uns zu kontrollieren. Das unaufhörliche Klingeln ließ mich glauben, dass es meine Mutter war, und ich eilte ins Haus, um ranzugehen.
„Hallo!“, sagte ich atemlos.
„Brynn?“, fragte mein Vater. „Was ist los? Du klingst, als wärst du gerannt.“
„Oh, nichts“, log ich. „Ich war nur in der Garage, um den Pizzakarton wegzuschmeißen.“
„Deine Mutter wollte, dass ich mich erkundige, wie es bei euch läuft. Alles okay?“
„Alles prima, Dad“, erwiderte ich ungeduldig. „Gott, was soll denn auch schon passieren?“
„Ich weiß, ich weiß, gar nichts“, gab mein Vater zu. „Wir werden wohl erst spät nach Hause kommen, nach Mitternacht.“ Ich schaute auf die Uhr. Es war beinahe neun. Die Sommersonnefing gerade an unterzugehen.
„Mach dir keine Sorgen, Dad, uns geht es gut“, versicherte ich ihm.
„Okay, okay“, sagte er. „Tschüss, Brynn.“
„Bye, Dad.“ Ich legte auf und rannte zurück in Allisons Zimmer, wobei ich zwei Stufen auf einmal nahm.
Als ich die Tür öffnete, ließ ich mir einen Moment Zeit, die Szenerie, die sich mir darbot, zu erfassen. Es sah aus, als hätte hier ein Massaker stattgefunden. Trotz meiner Bemühungen, alle blutigen Handtücher und Laken zu entsorgen, gab es einen großen blutigen Fleck auf Allisons Bett, und irgendwie waren auch überall an den Wänden Blutspritzer. Allison sah fürchterlich aus. Sie zitterte immer noch, auch wenn die Temperatur im Raum mir extrem hoch vorkam.
Ich ging in den Flur, um eine weitere Decke aus dem Wäscheschrank zu holen, als mir etwas ins Auge fiel. Ich drehte mich zu der Ecke, in der ich das Baby inmitten eines Stapels Handtücher abgelegt hatte. Seine Haut hatte einen bläulichen Farbton angenommen. Es rührte sich nicht mehr. „Nein“, flüsterte ich. „Oh nein.“
„Brynn, ich habe Angst“, jammert Joshua.
Ich blinzle die fürchterlichen Bilder fort und höre auf, hin und her zu laufen, versuche, mich auf Joshua und das, was er sagt, zu konzentrieren. Aber in meinem Kopf kreist nur ein einziger Gedanke: armes Baby. Armes, armes Baby.
CLAIRE
Claire wird von einer tief greifenden Panik erfasst, die all ihre Gedanken bestimmt und ihr den Atem nimmt. Sie hat furchtbare Angst um Joshua.
Alle schauen sie an und scheinen nur darauf zu warten, was sie als Nächstes tun wird. Charms Mutter sieht aus, als wenn sie etwas sagen will, überlegt es sich dann aber offensichtlich anders.
„Vielleicht sollten wir hineingehen“, schlägt der Mann in der Lederjacke vor. Claire folgt ihm wie betäubt in den Laden, und als sie aufschaut, sieht sie, dass Joshua sich eng an ein Bücherregal drückt. Er lässt die Finger über die Buchrücken gleiten, als wären sie die Tasten eines Klaviers.
„Warum schreien alle so?“, fragt er und kommt zögerlich auf seine Mutter zu.
„Wir haben uns nur unterhalten, Joshua“, versucht sie ihn zu beruhigen. Sie legt ihm die Hände auf die Schultern und dreht ihn vorsichtig herum, um ihn in den rückwärtigen Teil des Ladens zu führen.
„Und warum weinen dann alle?“ Er entzieht sich ihrem Griff und ballt seine kleinen Hände zu Fäusten. Claire hebt die Hand und berührt ihr Gesicht, das, wie sie nun feststellt, feucht ist.
„Das ist nur der Regen, Joshua“, sagt sie, auch wenn sie weiß, dass das eine ziemlich lahme Ausrede ist. Sie muss ihn von hier fortbringen, will nicht, dass er die Unterhaltung mit anhört. Ja, er weiß, dass er adoptiert ist, er weiß, dass er an der Feuerwache abgegeben wurde. Aber zu hören, dass Allison seine
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