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Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Titel: Vermächtnis des Schweigens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Gudenkauf
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Bündel rotbraunen Fells stehen, das mich mit hellen, bittenden Augen ansah.
    „Was für ein Hund ist das?“, fragte ich Missy.
    „Das ist Milo, eine Mischung aus Deutschem Schäferhund und Chow-Chow. Er ist zwei Monate alt und wurde auf einem Schotterweg südlich der Stadt gefunden. Armes Ding, war fast verhungert und vollkommen dehydriert. Er ist ein lebhafter kleiner Kerl, aber sehr süß.“
    Ich schaute meine Grandma an. „Kann ich ihn haben?“, fragte ich und bemühte mich, meine Hoffnungen nicht zu hoch zu hängen. Obwohl er erst wenige Monate alt war, hatte er schon riesige Pfoten, und Missy hatte gesagt, dass er sehr lebhaft sei. „Ich glaube, er braucht mich.“
    „Natürlich, Brynn. Er gehört dir.“ Sie schlang mir einen Arm um die Taille und drückte mich an sich.
    Ich habe es Missy zu verdanken, dass ich als Freiwillige im Tierheim arbeiten konnte und von dem Haustierprogramm am Community College erfuhr. Ich bin mir immer noch nicht sicher, warum die hübsche, kommunikative und freigeistige Missy sich ausgerechnet mit der auf Sicherheit bedachten, langweiligenBrynn angefreundet hat, aber ich bin froh darüber. Ich erinnere mich, als ich dreizehn war, hat meine Mutter mich gezwungen, das Sommercamp zu besuchen, in dem auch Allison war. Ich war eine absolute Niete im Fußball und habe jedes Mal komplett versagt, sobald der Ball auch nur in meine Nähe kam. Allison hat mich in der ganzen Woche nicht ein einziges Mal auch nur gegrüßt. Wann immer ich versucht habe, mit ihr zu sprechen oder mich ihr und ihren Freundinnen anzuschließen, hat sie mich komplett ignoriert. Als ich es schließlich nicht mehr ertragen habe und anfing, zu heulen wie ein Baby, hat Allison nur die Augen verdreht und gelacht. Ich habe den Rest des Sommers dann in meiner Hütte verbracht und behauptet, ich hätte mir den Knöchel verstaucht.
    Eine Freundin zu haben, vor allem eine, die Tiere genauso sehr liebt wie man selbst, ist so eine Erleichterung. Ich stecke mein Handy zurück in die Tasche, wobei meine Hand das Fläschchen mit meinen Tabletten berührt, die ich seit einem Jahr schlucke. Heute habe ich meine Dosis noch nicht genommen. Gestern auch nicht. Ich fühle mich besser. Stärker. Sogar die Nachricht, dass Allison aus dem Gefängnis ist, stört mich nicht so sehr, wie sie es noch vor einem Jahr getan hätte.
    Vielleicht ist es an der Zeit, damit aufzuhören, die Tabletten zu nehmen. Vielleicht bin ich bereit, es eine Zeit lang ohne sie zu versuchen.

ALLISON
    Ich schaue auf die Babypuppe, die mich aus leblosen Augen anstarrt, und fühle mich schwach. Es ist fünf Jahre, einen Monat und sechsundzwanzig Tage her. Sie wäre jetzt fünf Jahre alt oder einundsechzig Monate oder 269 Wochen oder 1.883 Tage oder 45.192 Stunden oder 2.711.520 Minuten oder 162.691.200 Sekunden. Ich habe mitgezählt.
    Viele der Frauen in Cravenville hatten Kinder. Einige haben sie sogar hinter Gittern auf die Welt gebracht. Ich bin im Innenhof des Gefängnisses immer Runde um Runde gelaufen, meine Turnschuhe schlugen dumpf auf dem Zementboden auf, die Luft lag schwer in meiner Lunge. „Wohin rennst du, Babymörderin? Läufst du vor dir selbst davon?“, hörte ich aus einer Ecke des Hofes, gefolgt von wildem Gelächter. Ich habe sie ignoriert. Wenn sie mich nicht Babymörderin oder Schlampe oder Schlimmeres nannten, haben sie gar nicht mit mir geredet. Sie sahen durch mich hindurch, als wäre ich nur ein Teil der fauligen Luft in unserem Zellenblock. Diese Frauen waren selber Mörderinnen. Sie haben ihre Ehemänner umgebracht oder ihre Freunde erstochen oder bei einem Raub einen Verkäufer erschossen. Aber ich bin schlimmer. Ein hilfloses Baby, nur wenige Minuten alt, wurde in den Fluss geworfen, um von der Flut davongetragen, von den Wellen ans Ufer geworfen zu werden.
    Die Frauen im Gertrude House waren nicht anders als die im Gefängnis. Ich habe mich nie einsamer gefühlt als in diesem Moment. Ich weiß, wie schwer es für meine Eltern ist, mit anzusehen, wie tief ich gefallen bin. Aber alles, was ich will, ist, dass sie mich besuchen kommen. Es ist so lange her, dass ich die Hand meiner Mutter gehalten, die Berührung meines Vaters gespürt habe. Das Kichern meiner Schwester gehört. Wir waren nie eine besonders herzliche Familie, aber manchmal, wenn ich ganz still bin, kann ich mich an das Gewicht der starken, tüchtigen Hand meines Vaters auf meinem Kopf erinnern. Manchmal, wenn ich die Augen schließe, stelle ich mir vor, dass die

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